Reportage

Felle nachhaltig verwerten: Vom Rohstoff zum Produkt

30. September 2024 -
Gerberei Holubovsky - © Christian Bruckbäck
© Christian Bruckbäck

Die Weiterverarbeitung von Wildtierfellen trägt zur Nachhaltigkeit bei. Erfahren Sie, wie in der Gerberei Holubovsky aus Rohfellen ökologisch wertvolle Produkte entstehen und warum Pelz und Leder aus heimischen Wäldern gegen die Wegwerfgesellschaft wirken.

Nachhaltigkeit und der bewusste Umgang mit Rohstoffen sind in aller Munde, doch oft übersehen wir, was direkt vor uns liegt. So hört man in Jäger­kreisen immer wieder, dass wertvolle Teile des Wildes nicht voll verwertet werden – während das Fleisch genutzt und so manches Präparat ­gefertigt wird, bleiben Decken, Bälge und Schwarten oft unbeachtet. Dabei bieten uns gerade diese Ressourcen enormes Potenzial. Eine Lederhose aus Hirschleder oder eine Jacke aus Fuchsfell sind nicht nur schön anzusehen, sondern auch nachhaltig und begleiten uns bei richtiger Pflege ein Leben lang.
Diesen Gedanken vor Augen, besuchte ich die Gerberei Holubovsky in Ybbsitz, Niederösterreich – ein Ort, an dem ­bereits seit 1870 Felle gegerbt werden. Als ich die Pforte dieses traditions­reichen Unternehmens überschreite, spüre ich sofort die Geschichte, die in ihm steckt. Thomas Holubovsky und sein Vater Karl erwarten mich bereits, um mir einen Einblick in ihre Handwerkskunst zu geben und mir mehr über diese ­vergessenen Ressourcen zu ­erzählen. Thomas, der den Betrieb von seinem Vater übernommen hat, führt mich durch die Werkstatt und erklärt mir die einzelnen Schritte der auf­wendigen Fellverarbeitung.

Der Letzte seiner Art

„Wir sind die letzte Gerberei in Niederösterreich“, erzählt mir Thomas auf dem Weg in die Nasswerkstatt. „In ganz Österreich gibt es nur noch eine Handvoll. Konkurrenz machen wir einander nicht, denn jeder Betrieb hat sich auf einen bestimmten Bereich spezialisiert – auf Pelz oder auf Leder. Wir konzentrieren uns auf Pelz, bieten aber auch Ledergerbung an.“ Als wir an der ­Abgabestation für Rohfelle vorbei­kommen, zeigt mir Thomas die Boxen, in die Kunden jederzeit ihre einge­salzenen Felle legen können – inklusive eines ausgefüllten Auftragsformulars. „Praktisch“, denke ich mir.

Der Weg des Fells

In der Rohfelllagerhalle angekommen, knirscht es unter meinen Füßen wie auf frischem Schnee – denn der Boden ist mit Salz bedeckt. Hier werden die Felle nicht nur ordentlich eingesalzen, sondern auch mit einer Auftragsnummer versehen. „Das Wichtigste ist, dass jedes Fell sorgfältig konserviert wird“, erklärt Thomas. „Ein rohes Fell sollte man wie rohes Fleisch behandeln. Es muss richtig gekühlt oder eingesalzen werden, um es haltbar zu machen. Fehler in der Konservierung merkt man oft erst nach der Gerbung, wenn die Haut an den betroffenen Stellen die Haare ­abstößt.“ Laut Thomas ist das auch der häufigste Fehler, den die Kunden machen können. Wird auf das Einsalzen verzichtet, vergisst man einige Stellen oder salzt man zu spät ein, ist das Fell kaputt. Dann kann es auch der Gerber nicht mehr retten.
Weiter geht es in die Nasswerkstatt, wo riesige Maschinen aneinandergereiht sind. Sie sehen beinahe aus wie mittelalterliche Waschzuber, dünn überzogen mit einer Patina aus feinen Tierhaaren. Der erste Schritt in der Pelzgerbung ist die sogenannte „Weiche“, bei der die Felle in warmem Wasser eingeweicht werden, um Blut, Schmutz und andere Verunreinigungen zu lösen. Danach werden die Felle entfleischt – ein ­rotierendes Messer entfernt Fleischreste und Bindegewebe. Für besonders dicke Felle, wie die von Schwarzwild, kommt Handarbeit am „Gerberbaum“ ins Spiel.
Nach dem Entfleischen kommen die Felle in eine Lösung aus Wasser und Gerbhilfsstoffen – dem sogenannten „Pickel“ –, bevor sie gewaschen und weiterverarbeitet werden. Bei der Leder­gerbung hingegen werden die Felle in einem speziellen Verfahren, dem ­sogenannten „Äschern“, behandelt, um die Haare zu entfernen, bevor sie mit Fischöl gegerbt werden. Im Anschluss werden die Häute in der „Abwelkpresse“ entwässert und zum Trocknen aufgespannt.

Ökologisch und nachhaltig?

Angesichts der vielen Arbeitsschritte frage ich mich, wie nachhaltig dieser Prozess eigentlich ist. Thomas klärt mich auf: „Das Rohfell ist immer ein Nebenprodukt der Jagd oder Fleischwirtschaft. Früher wurden die Felle oft entsorgt, was eine enorme Verschwendung ist. Wir gerben hier handwerklich, aber mit modernster Technik. Alle verwendeten Chemikalien kommen aus Österreich oder Deutschland, und dank unserer eigenen Kläranlage reinigen wir das Abwasser so, dass alle Grenzwerte eingehalten werden. Außerdem bieten wir den Kunden auf unserer Website einen kostenlosen „Paket­gutschein“ an. Somit müssen sie keine Wege auf sich nehmen und können uns die Felle kostenlos und klimafreundlich zusenden“.
Im ersten Stock zeigt mir Thomas die Felle, die bei 45 °C über Nacht trocknen. Dabei fällt mir auf, dass ­einige Felle Narben und Schnitte ­aufweisen. „Das ist normal“, erklärt Thomas, „später wird die Haut ge­schliffen, sodass man diese Makel nicht mehr sieht.“

Altes Handwerk

Während ich Lehrling Anna beim Schleifen eines Schaffells beobachte, erzählt mir Thomas von den Herausforderungen seines Handwerks. „In ­Österreich gibt es keine Berufsschule für Gerber mehr. Anna lernt daher Chemie­verfahrenstechnik, um das Handwerk weiterzuführen. Denn die ­Branche wird europaweit immer kleiner“, fügt er besorgt hinzu.
Auch saisonale Schwankungen beeinflussen die Qualität der Felle. Sommer­felle haben weniger Haare, dafür ist die Haut stärker und somit ideal für Leder geeignet. Winterfelle hingegen sind für die Pelzgerbung ­besser, da sie über eine weiche Haut und dichtes Haar verfügen.

Wegwerfgesellschaft?

Zum Abschluss zeigt mir Thomas die weiteren Schritte der Verarbeitung. Nach dem Trocknen werden die Felle durchgewalkt, die Lederseite wird ­geschliffen, das Fell wird gekämmt, ­gebügelt und vermessen. „Bis zur Fertig­stellung dauert es etwa drei Monate“, erklärt er mir. Während ich fasziniert die letzten Arbeitsschritte beobachte, möchte ich von Thomas wissen, ob er eine Zukunft für den Markt von Leder bzw. Pelz in Österreich sieht. „Wildtierfelle aus unseren heimischen Wäldern gelten als nachhaltigste und biologisch unbedenklichste Ressource unseres Landes. Eine Verwertung der Felle zu Pelz oder Leder stellt für mich also nicht nur eine Erinnerung oder Trophäe dar, sondern einen aktiven Beitrag gegen die Wegwerf­kultur und den Import von erdölbasierten Textilien“, ist Thomas überzeugt.
Mit vielen neuen Eindrücken verlasse ich die Gerberei – beeindruckt von der jahrhundertealten Handwerkskunst und der Tatsache, wie viel ­ungenutztes Potenzial in den Fellen unserer heimischen Wildtiere steckt.