Serie

Sitzen, wo man will

28. Juni 2022 -
Klettersitz - © Martin Grasberger
© Martin Grasberger

Der Klettersitztrend schwappt aus den USA zu uns, daher kommen diese sogenannten „Treestands“ auch in unseren Breiten immer häufiger zur Anwendung. Sie sind einfach zu bedienen und verschaffen dem Anwender Flexibilität. Welche Vorteile sie sonst noch bieten, haben wir in der Praxis getestet. – 1. Teil: Sicherheit beim Klettern.

Heute hier, morgen dort!“ So könnte man die Flexibilität eines Klettersitzes hinsichtlich der Standortwahl bezeichnen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Baumsitzen, die in der Regel fix an einem oder mehreren Bäumen montiert werden und dort auch verbleiben, können Klettersitze bereits bei ihrer nächsten Verwendung an einem anderen Baum (vorübergehend) montiert werden. Dadurch werden auch sehr entlegene oder bislang unbekannte Stellen im Revier einfach erschlossen und abgedeckt.
Zudem können die Einsicht ins Gelände sowie die Kugelfangbedingungen (steilere Schusswinkel) maßgeblich mit der Aufstiegshöhe begünstigt werden. Bei Klettersitzen sind Einsatzhöhen von 8 m oder darüber nichts Außergewöhnliches. Allerdings ist bei kurzen Steilschüssen der Tiefschuss aufgrund der Visierlinienerhöhung zu berücksichtigen. Durch die 360-Grad-Rundumsicht in großen Höhen ist die Jagd von einem Klettersitz aus nicht nur ein Erlebnis für sich, sondern bietet (im Vergleich zu herkömmlichen Hochständen) aufgrund der Sichtfelderweiterung auch die Möglichkeit, Wild früher zu erkennen und tendenziell mehr Vorbereitungszeit für die Schussabgabe zu haben. Gerade für Riegeljagden kann dieser Faktor maßgeblich zum Jagderfolg beitragen. Wild äugt in der Regel auch nicht so weit nach oben, weshalb ­Bewegungen des Jägers kaum wahr­genommen werden.
Nicht zu unterschätzen ist eine mögliche Unterstützung eines Klettersitzes für den Hochstandbau. Immerhin kann dadurch nicht nur der exakte Standort, sondern auch die optimale Schusshöhe bereits im Vorhinein sehr einfach ausgewählt werden, um günstige Voraussetzungen für den Kugelfang und das Blickfeld zu erhalten. Zudem bieten Klettersitze auch eine gesicherte Arbeitsplattform für den Bau von (fixen) Baumsitzen.
Aufgrund ihres überschaubaren Gewichts können viele Klettersitze mit einem Trageriemensystem (wie ein Ruck­sack) transportiert werden und sind bei ihrer Aufstellung beziehungsweise Montage somit nicht von einem Kraftfahrzeug abhängig. Allerdings können längere Gehzeiten (in unwegsamem Gelände) aufgrund des Gewichts am Rücken (etwa 10 kg) und des sper­rigen Formats anstrengend bis un­angenehm werden.
Klettersitze bieten summa summarum einige Vorteile, allerdings darf ihre Verwendung nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Klettersitze sind nun einmal kein Spielzeug! Zudem ist immer ein passender Baum notwendig, weshalb der Einsatz für gewöhnlich auf Waldgebiete beschränkt bleibt.

Bestandteile und Anwendung

Ein Klettersitz besteht in der Regel aus einem Sitz- und einem Fußteil, welche baumseits mit einer Zahnung ausgestattet sind und sich beim Aufstieg in die Borke des Stammes einpressen. Gehalten beziehungsweise verkeilt werden sie von je einem in der Länge justierbaren Drahtseil, das um den Baum ­umgelenkt wird. Damit Kopf- als auch Fußteil beim sich verjüngenden Baumdurchmesser möglichst waagrecht ausgerichtet sind, sollte das Drahtseil bei der Montage noch am Boden so ein­gestellt werden, dass sowohl Sitz- als auch Fußteil entsprechend schräg nach oben ragen.
Das Fußteil verfügt in den meisten Fällen über zwei Schlaufen beziehungsweise Bügel, in welche je ein Fuß ­hineingestellt wird. Die Fortbewegung baumaufwärts funktioniert, indem man sich auf dem Sitzteil abstützt und das Fußteil nachzieht. Im Anschluss wird wieder das Sitzteil hinauf­geschoben, und der Prozess beginnt von Neuem. So kann Hub für Hub (ähnlich einer Raupe) die endgültige Einsatzhöhe beliebig definiert und gewählt werden. Bei vielen Modellen wird das Fußteil auf der finalen Höhe mit dem Kopfteil durch Spanngurte fixiert, um eine stabilere Einheit zu bilden.
Im Anschluss muss nur noch die ­weitere Jagdausrüstung (Futteral mit Gewehr), die zuvor am anderen Ende des ­Sicherungsseils befestigt worden ist, hinaufgezogen werden. Der Abstieg erfolgt in umgekehrter Reihenfolge.

Vorbereitung, Eigensicherung

Wer einen Klettersitz verwenden möchte, muss sich vorerst intensiv mit der Sicherheit auseinandersetzen. Die Basis hierzu stellt eine adäquate Absturzsicherung dar. Zu empfehlen ist jedenfalls eine Seilsicherung, welche aus einem Sicherungsseil (dynamisches Seil), einem Abseilgerät (zum Beispiel das Modell „Grigri“ von Petzl), zwei Karabinern und einem Klettergurt (bzw. Auffanggurt) besteht. Diese Seilsicherung wird um den Baum und durch den Karabiner geführt, mit ­Abseilgerät und Klettergurt verbunden und beim Aufstieg ständig mitgeführt. Im Falle eines Absturzes ist dadurch der Freiflug sehr gering (Schlappseil vermeiden) und ein anschließendes einhändiges, eigenständiges Abseilen ohne Weiteres möglich. Das Sicherungsseil fungiert zugleich als Transportseil, mit dem die Jagdausrüstung nach Montage des Klettersitzes nach oben gezogen werden kann.
Das Gefährdungspotenzial beim Einsatz eines Klettersitzes darf aufgrund der enormen Höhe nicht unterschätzt werden. Abstürze aus wenigen Metern können schwere gesundheit­liche Folgen (bis hin zum Tod) nach sich ziehen. Deshalb sind höchste ­Konzentration und steter Respekt im Umgang mit Klettersitzen zu wahren. Vor jedem Einsatz ist die Ausrüstung separat auf etwaige Auffälligkeiten ­beziehungsweise Mängel hin zu überprüfen. Dabei ist jeder für die eigene Handlung selbst verantwortlich. Sich hierbei auf andere zu verlassen (zum Beispiel, weil der Klettersitz samt ­Seilsicherung beim letzten Mal noch in Ordnung war), wäre fahrlässig.
Wer allerdings das erste Mal mit dem Klettersitz ins Revier ausrückt, sollte nicht nur die gerätespezifische Gebrauchsanweisung samt Sicherheitshinweisen studiert, sondern sich auch mit der Eigensicherung penibel genau auseinandergesetzt haben. Ein Besuch eines Seminars unter der Leitung eines Experten im Vorfeld bringt nicht nur einen geübten Umgang und ein paar Tipps und Tricks für die Praxis, sondern auch eine gehörige Portion an Vertrauen und Sicherheit. Je professioneller die Einschulung und der Zugang zum Gerät sind, desto geringer ist das Unfallrisiko.

Klettersitz - Aufgrund ihres überschaubaren Gewichts können viele Klettersitze mit einem Trageriemensystem (wie ein Ruck­sack) transportiert werden. - © Martin Grasberger
Aufgrund ihres überschaubaren Gewichts können viele Klettersitze mit einem Trageriemensystem (wie ein Ruck­sack) transportiert werden. © Martin Grasberger
Klettersitz - Damit Sitz- und Fußteil beim sich verjüngenden Baumdurchmesser schlussendlich waagrecht ausgerichtet sind, sollte die Montage am Boden so ein­gestellt werden, dass diese schräg nach oben ragen. - © Martin Grasberger
Damit Sitz- und Fußteil beim sich verjüngenden Baumdurchmesser schlussendlich waagrecht ausgerichtet sind, sollte die Montage am Boden so ein­gestellt werden, dass diese schräg nach oben ragen. © Martin Grasberger
Klettersitz - Die Fortbewegung baumaufwärts funktioniert, indem man sich auf dem Sitzteil abstützt und das Fußteil nachzieht. - © Martin Grasberger
Die Fortbewegung baumaufwärts funktioniert, indem man sich auf dem Sitzteil abstützt und das Fußteil nachzieht. © Martin Grasberger
Klettersitz - Zum Abschluss muss nur noch die ­zuvor am anderen Ende des ­Sicherungsseils befestigt gewordene Jagdausrüstung (Futteral mit Gewehr) hinaufgezogen werden. - © Martin Grasberger
Zum Abschluss muss nur noch die ­zuvor am anderen Ende des ­Sicherungsseils befestigt gewordene Jagdausrüstung (Futteral mit Gewehr) hinaufgezogen werden. © Martin Grasberger
Klettersitz - Zu empfehlen ist eine Seilsicherung, die aus Sicherungsseil (dynamisches Seil), Abseilgerät (zum Beispiel das Modell „Grigri“ von Petzl) , zwei Karabinern und Klettergurt (bzw. Auffanggurt) besteht. - © Martin Grasberger
Zu empfehlen ist eine Seilsicherung, die aus Sicherungsseil (dynamisches Seil), Abseilgerät (zum Beispiel das Modell „Grigri“ von Petzl) , zwei Karabinern und Klettergurt (bzw. Auffanggurt) besteht. © Martin Grasberger
Klettersitz - Nicht nur die gerätespezifische Gebrauchsanweisung samt Sicherheitshinweisen sollte im Vorfeld studiert werden, sondern man sollte sich auch mit der Eigensicherung auseinandergesetzt haben. - © Martin Grasberger
Nicht nur die gerätespezifische Gebrauchsanweisung samt Sicherheitshinweisen sollte im Vorfeld studiert werden, sondern man sollte sich auch mit der Eigensicherung auseinandergesetzt haben. © Martin Grasberger
Klettersitz - Mit einer Baumschere kann bereits im Vorfeld entastet werden, um beim tatsächlichen Einsatz möglichst zügig und leise ­klettern zu können. - © Martin Grasberger
Mit einer Baumschere kann bereits im Vorfeld entastet werden, um beim tatsächlichen Einsatz möglichst zügig und leise ­klettern zu können. © Martin Grasberger
Klettersitz - Zudem empfiehlt es sich, eine kleine Astschere bei jeder Kletteraktion dabei zu haben, die an einer Schnur gegen Herabfallen gesichert ist. - © Martin Grasberger
Zudem empfiehlt es sich, eine kleine Astschere bei jeder Kletteraktion dabei zu haben, die an einer Schnur gegen Herabfallen gesichert ist. © Martin Grasberger
Klettersitz - Als Baumarten eigenen sich be­sonders Lärchen, Fichten, Kiefern, Eichen oder Douglasien. - © Martin Grasberger
Als Baumarten eigenen sich be­sonders Lärchen, Fichten, Kiefern, Eichen oder Douglasien. © Martin Grasberger

Schwindelfrei

Wesentliche persönliche Voraussetzungen für den Einsatz eines Klettersitzes sind eine entsprechende körperliche Physis sowie Schwindelfreiheit in ­mehreren Metern Höhe. Immerhin muss man sich bewusst sein, dass man hoch oben allein ist und sich eine ­Rettungsaktion (aufgrund von Kraftlosigkeit, Höhenangst, Unwissenheit in der Bedienung des Abseilgeräts oder eines Schwindelanfalls) sehr schwierig gestalten kann.
Empfehlenswert ist es, bereits vor der Jagd den Baum für den Klettersitz auszuwählen. Mit einer Baumschere kann dadurch bereits im Vorfeld entastet werden, um beim tatsächlichen Einsatz möglichst zügig und leise ­klettern zu können. Im Zuge dieser Vorauswahl sollten zudem die Vitalität und Standfestigkeit des Baumes kontrolliert werden.
Wer mit einem Klettersitz jagt, ist gut beraten, etwas früher zur Jagd zu starten. Eine Stirnlampe für den ­sicheren Aufbau und den morgend­lichen Aufstieg ist dabei äußerst hilfreich. So lautlos wie der Aufstieg auf eine Hochstandleiter ist es mit dem Klettersitz leider nicht.
Klettersitzexperten raten, das Mobil­telefon (sowie eventuell auch eine Signal­pfeife) leicht griffbereit eingesteckt zu haben, um im Bedarfsfall auf sich aufmerksam machen oder Hilfe holen zu können. Zudem empfiehlt es sich, eine kleine Astschere bei jeder Kletteraktion dabei zu haben, die an einer Schnur gegen Herabfallen gesichert ist.

Standorte & Bäume

Der Einsatz von Klettersitzen eignet sich besonders bei Wechseln, Verjüngungsflächen, Bestandeslücken (zum Beispiel Käferlöchern) oder Brombeerdickungen, da an diesen Standorten im Allgemeinen größere Wildaktivitäten zu erwarten sind. Zudem hält sich Wild in diesen Bereichen eher vertraut auf und fühlt sich sicher.
Bäume sollten für die Montage von Klettersitzen gerade, gesund (vital) und stabil sein. Wesentlich ist auch eine grobe Borke (Rinde), damit die ein­dringenden Zähne von Sitz- oder Fußteil den Baum nicht verletzen und er dadurch anfällig für einen Insekten­befall wird. Dass ein passender Baum möglichst astfrei sein sollte, ist selbstverständlich. Ein Hinaufklettern bis in die Baumkrone ist also insofern nicht empfehlenswert, da dort viele Äste einer­seits ein Weiterkommen ver­hindern und andererseits die Sicht einschränken. Für Klettersitze eignen sich in der Regel Bäume mit einem Brusthöhendurchmesser von 20–50 cm.
Als Baumarten eigenen sich be­sonders Lärchen, Fichten, Kiefern, Eichen oder Douglasien. Bäume mit glatter, lockerer, bröckelnder oder sehr dünner Rinde sind für den Einsatz von Klettersitzen möglichst zu vermeiden. Birken oder Rotbuchen sind zum ­Beispiel im Winter äußerst glatt, daher besteht erhöhte Absturzgefahr. Ebenfalls ist von morschen (abgefaulten bzw. toten), hohlen oder dürren Stämmen, Ästen sowie Wipfeln Abstand zu nehmen. Holz- oder Betonmasten sind ebenfalls tabu.

Im 2. und letzten Teil dieser Serie testet das WEIDWERK den ­Klettersitz „Summit Viper SD“, diesen finden Sie in einer der folgenden Printausgaben. Nicht verpassen und gleich hier Abo abschließen!