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Dienstleistung Jagd

28. März 2022 -
Dr. Philipp Harmer, CIC-Präsident - © Eszter Gordon
© Eszter Gordon

Die Währung der heutigen Zeit ist Emotion, vielfach genährt von Unwahrheiten und Fake News. Dieser leichten, aber höchst wirksamen Kost ist mit Fakten und wissenschaft­lichen Erkenntnissen nur schwer beizukommen. – Wie man pro Jagd argumentiert, erzählt der neue CIC-Präsident.

Im Zuge der CIC-Generalversammlung in Budapest, Ungarn, wurde Dr. Philipp Harmer 2021 zum Präsidenten des CIC (Internationaler Rat zur Erhaltung der Jagd und des Wildes), der weltumspannenden Jagdorganisation, gewählt. Grund genug, den Grandseigneur der österreichischen Jagd zum Interview zu bitten.

CIC (Internationaler Rat zur Erhaltung der Jagd und des Wildes)

Aufgabe: Der CIC ist ein politisch unabhängiges, gemeinnütziges Beratungsorgan mit dem Ziel der Erhaltung des Wildes durch die Förderung der nachhaltigen Nutzung von natürlichen Ressourcen. Er wurde 1928 gegründet und ist in 82 Ländern der Erde mit Sitz in Wien und einem Hauptquartier in Budapest tätig. Zu seinen rund 1.500 Mitgliedern zählen Staaten, staatliche Institutionen, Universitäten und andere Forschungseinrichtungen, Firmen, Persönlichkeiten sowie Jagdverbände. Auf nationaler Ebene sind die Mitglieder in nationalen Delegationen organisiert. Der CIC hat diplomatischen Status in Ungarn und Beobachter­status in den Vereinten Nationen. Als Präsident fungiert seit 2021 der Österreicher Dr. Philipp Harmer.

WEIDWERK: Lieber Philipp, bevor wir über den CIC sprechen, möchten wir dich als Person gerne kennenlernen. Was machst du beruflich?
Mag. Dr. Philipp Harmer, LL.M: Ich bin gelernter Jurist und momentan in vier Bereichen tätig. Ich manage einerseits etwa 1.500 ha Forst- und Landwirtschaft in Ungarn und Österreich. Andererseits agiere ich auf dem Immobilienmarkt und kaufe bzw. verkaufe Zinshäuser und Eigentums­wohnungen. Mein drittes Standbein ist meine kleine Beteiligungsgesellschaft, in der ich immer wieder Firmenanteile übernehme, die Betriebe entwickle und sie dann verkaufe. In den letzten zwölf Jahren sind acht Firmen durch meine Gesellschaft gegangen.
Zu guter Letzt bin ich in einigen Stiftungen und Aufsichtsräten, wo ich meine Erfahrung besonders in den Bereichen „Human Resources“ und „Asset Management“ einbringen kann. Das ist mein Leben: Es ist sehr divers, und diese Diversität habe ich immer geliebt.
Inhaltlich beschäftige ich mich gerne mit Politik und Geschichte, und aus diesem politischen Interesse heraus entstand auch mein Einsatz für die rechtlichen Rahmenbedingungen der Jagd. Ich bin der Meinung, dass die Jagd für die Gesellschaft und für die Natur etwas Positives bewirkt. Und das sollten Politik und Öffentlichkeit anerkennen.

WEIDWERK: Was sind die wichtigsten Aufgaben des Internationale Rates zur Erhaltung der Jagd und des Wildes (CIC)? Welche Ziele verfolgt er?
Harmer: Vorweg: Der CIC hat Beobachterstatus bei der UNO, hat Sitz und Stimme bei FAO, bei CITES, Beobachterstatus bei Interpol, Sitz und Stimme und einen Vizepräsidenten bei IUCN – ist also recht einflussreich.
Das Hauptziel des CIC ist, die nicht jagende Bevölkerung und die Politik davon zu überzeugen, dass die Jagd eine Dienstleistung für die Natur und die Gesellschaft ist. Nehmen wir etwa das Europäische Parlament her, das 705 Abgeordnete beherbergt: 150 sind explizit für die Jagd, und ungefähr 150 sind explizit dagegen. Das heißt, dass man sich um die restlichen 400 Parlamentarier in der Mitte sorgen muss!
Ich kann mich authentisch und glaubwürdig für deren Meinungsbildung einsetzen, weil ich davon überzeugt bin, dass die Jagd eine Dienstleistung ist, die kostenlos von den Jägerinnen und Jägern erbracht wird. Als Beispiel kann der kleine, etwa 16.000 ha große Schweizer Kanton Genf herangezogen werden, wo die „Milizjagd“ (Ausübung der Jagd durch private Jäger, Anm.) vor Jahrzehnten abgeschafft worden ist. Seitdem sind dort zwei Berufsjäger angestellt, die die Gesellschaft zu bezahlen hat; die Gesamtkosten des Wildtiermanagements belaufen sich dort auf etwa 2,5 Mio. Schweizer Franken. Wenn man das mit den Flächen und allem, was das den Steuerzahlern kosten würde, auf Österreich umrechnet, käme man auf eine Summe von weit über 500 Mio. Euro. Und da wären noch nicht einmal die Einnahmen aus der Jagdpacht sowie die aus Steuern mit dabei.
Die Jäger sind bereit, Dienstleistungen ohne Verrechnung zu erbringen. Und welche Dienstleistungen das genau sind, muss klar und deutlich erklärt werden. Vier Punkte können wir besonders hervorheben:

  1. Den Einsatz der Jagd für Wildtiermanagement, Wildschadensvermeidung, Wildbestandeszählungen und Kon­trolle.
  2. Den Einsatz der Jäger zur Erhöhung der Biodiversität: jeder Wildacker, jedes Grundstück, das für Wild bewirtschaftet wird, jeder Blühstreifen, jedes Wasserbiotop usw. – dafür geben die Jägerinnen und Jäger viel Geld aus und tun das „for free“.
  3. Die Jäger bringen ein gesundes und wohlschmeckendes Lebensmittel auf den Tisch, und zwar ohne Medikamenteneinfluss und ohne Schlachtstress. Man muss sich dazu lediglich vor Augen führen, welche Todesängste ein Tier auf der Schlachtbank ausstehen muss, und einen direkten Vergleich zu in freier Wildbahn erlegten Wildtieren anstellen.
  4. Das Eins-mit-der-Natur-Sein und das Erlebenwollen der Natur sind große Sehnsüchte vieler Menschen – Corona hat das verstärkt. Die Jagd ist etwas, das diese Sehnsucht stillen kann.

Das eine ist die „Message“ nach außen, dass die Jäger für die Gesellschaft und die Natur etwas Positives bewirken. Und dann gibt es noch die Message nach innen.
In Europa gibt es 7 Mio. Jägerinnen und Jäger, auf der ganzen Welt sind es viele Millionen. Und sie alle sind extrem divers. Jeder für sich definiert Jagd anders. Und jeder definiert anders, welche Art der Jagd, welche Jagdmethode, welche Mittel für die Jagd, welche Gewehre eingesetzt werden usw. Dadurch ergibt sich ein unglaublicher „Spread“, auch aus der Geografie, weil die Jagdkulturen sehr unterschiedlich sind. Blickt man nach Skandinavien, geht es vor allem ums Fleisch, blickt man nach England, geht es vor allem um Sport. Und blickt man nach Mitteleuropa, findet man vor allem Tradition, Trophäe, Weidgerechtigkeit und Brauchtum.
Es ist extrem schwierig, diese verschiedenen Jäger, die alle etwas anderes wollen, unter einen Hut zu bekommen. Das ist das große Problem der Jäger – sie treten nicht „united“ auf. Meine Message an die Jäger, frei nach Darwin: Nicht diejenigen überleben, die am stärksten oder intelligentesten sind, sondern diejenigen überleben, die bereit sind, sich anzupassen und das am besten tun – er nennt das „Survival of the Fittest“. Das müssen wir an die Jägerschaft kommunizieren, sodass jeder Einzelne sein jagdliches Tun hinterfragt. Ich möchte keine Urteile sprechen und keine Stäbe brechen, aber eines ist klar: Wir müssen an uns arbeiten.
Im CIC gibt es drei Divisionen, in denen die fachliche Arbeit geschieht. die Division „Politik und Recht“, geleitet vom Kanadier Shane Mahoney, die Division „Angewandte Wissenschaft“, geleitet Prof. Dr. Klaus Hackländer, und „Jagd und Kultur“, geleitet vom Belgier Bernardin Malou.

WEIDWERK: Mit welchen Jagdgegnern muss sich der CIC beschäftigen?
Harmer: Das große Problem ist, dass unsere Gegner ihr Tun als „Business­modell“ betreiben. Ich versuche oft genug, mich mit Jagdgegner zu treffen, aber die erscheinen einfach nicht. Daher ist mit ihnen ein Ausgleich meist nicht möglich. Sie haben kein Interesse an einer Einigung auf Basis wissenschaftlicher Fakten. Sie wollen ihren Lebensunterhalt, also die Spenden, nicht gefährden.
Die Währung der heutigen Zeit ist Emotion. Und man kann in dieser Währung mit Fotos und Social Media etwas ganz schnell in einem völlig anderen Licht darstellen; mit Fakten und Wissenschaft kommt man nur sehr schwer dagegen an, weil das die Leute nicht interessiert.
Der Druck auf die Jagd kommt derzeit vor allem aus Afrika, weil sich dort das „Schlachtfeld“ für jagdfeindliche Organisationen befindet. Weil sie mit einem Elefanten oder Löwen leichter die Herzen oder Emotionen der Menschen erreichen als hier mit einer Wildsau. Das ist extrem schlecht für die europäische Jagd, da der Kampf, der in Afrika stattfindet, uns voll trifft. Es geht gegen die Jäger per se. Die Gegner ver­langen politische Handlungen und sie greifen die Ereignisse in Afrika auf, weil sich diese emotional besser auf Fotos darstellen lassen.
Der CIC wurde in Europa gegründet, aber umspannt mit 28 Mitgliedstaaten die gesamte Welt. Deswegen ist dieses Afrikathema für uns natürlich eine wichtige Angelegenheit, weil es jeden Jäger auf der ganzen Welt trifft. Die Jagdgegner wollen die Jagd überhaupt abschaffen und setzen dort an, wo sie mit Emotionen am leichtesten vorwärtskommen. Das ist leider nie faktenbasiert. Die Themen Wolf oder auch Fischotter und Biber sind extrem emotional, aber in Wahrheit ein Angriff gegen das Grundeigentum und unser funktionierendes Bewirtschaftungssystem.

WEIDWERK: Wir haben soeben von „Gegnern“ gesprochen. Sind das Tierschutzvereine à la WWF, VgT usw.?
Harmer: Die „International Union for Conservation of Nature“ (IUCN) ist die weltgrößte Naturschutzorganisation und erkennt ausdrücklich die Jagd als nachhaltige Naturnutzung an; in Addis Abeba wurde das im Jahr 2000 offiziell beschlossen. Und auch der WWF sieht die Jagd als etwas Positives. Vielleicht sehen einzelne Mitglieder des WWF das etwas anders, aber auch für sie gilt die offizielle Linie der Weltorganisation. Die wirklich jagdfeindlich gesinnten Organisationen haben Namen, wie „Born Free“, „Vier Pfoten“ oder „VgT“. Ich sehe die Kritik an der Jagd in vierfacher Form:

  1. Die Kritik am Jäger – der Jäger ist ein Mensch, und bei jedem Menschen gibt es menschliche Angriffsflächen. Der Jäger „saufe“ und „fresse“ nur, schieße zu weit, wolle nur große ­Trophäen, wolle nur mit dem Auto im Revier herumfahren usw. Einen Menschen kann man leicht kritisieren.
  2. Dann gibt es die Kritik an gewissen Jagdmethoden. Das geht bis dahin, dass manche Leute sagen, der Schrotschuss gehöre abgeschafft. Fuchsjagd, Baujagd, Gatterjagd, Auswildern. Sie hören nicht auf. Die Baujagd steht aktuell im Zentrum der Kritik.
  3. Dann gibt es noch die Kritik am Akt des Tötens. Es gibt einige, die meinen, man habe nicht das Recht, einem Tier das Leben zu nehmen. Ich respektiere diese Menschen, so lange sie auch meine Position respektieren. Wenn einer wirklich Tierrechtler ist, dann kann er das sein. Aber er muss akzeptieren, dass ich eben keiner bin. Er muss mich nicht überzeugen, schon gar nicht mit aggressiven, undemokratischen Mitteln!
  4. Auch wird in den Raum gestellt, dass Jagd nur einer Elite vorbehalten sei. Diesen Neid kann man bei den Hörnern packen, denn Jagen kann jeder, außer er ist vorbestraft. Das ist die Realität: In Österreich leben 130.000 Jagdkarteninhaber, und zwar gesellschaftlich und politisch aus allen Schichten. Und jagdlich andocken kann man, wenn man ein halbwegs verträglicher Mensch ist, wahrlich überall.

WEIDWERK: Wo liegen die größten Aufgaben, um die Jagd in der nicht jagenden Bevölkerung salonfähig zu machen?
Harmer: Das kann nur funktionieren, wenn wir glaubwürdig sind. Natürlich ist es die Motivation eines Jägers, dass er jagen will. Um jagen zu können, will er ein gutes Habitat haben, idealerweise ein schönes, welches ein grandioses Naturerlebnis vermittelt, mit entsprechendem Wildstand. Das heißt, die Motivation des Jägers zur Erhaltung des Wildes ist ein Stück weit egoistisch, und wir dürfen uns über dieses Faktum nicht hinwegschwindeln. Aber Gewinner des Handelns der Jäger ist immer die Natur, immer das Wild – also die Gesellschaft.

WEIDWERK: Wie hat sich deine persönliche Jagd entwickelt?
Harmer: Wenn man sich viel mit der Natur beschäftigt, beginnt man, sie immer mehr zu lieben. Begonnen habe ich, weil ich meinen Vater nacheifern wollte. Ich war etwa drei Jahre alt und sah, wie der Vater am Wochenende hinausgegangen ist. Ich richtete ihm schon die Patronen usw. her. Mit fünf Jahren hat er mich mitgenommen. Später absolvierte ich die Jagdprüfung und jagte mit Freunden. Wichtig waren mir die Kameradschaft und das Beutemachen. Und es war vielleicht auch ein bisschen kompetitiv.
Später begann ich, ein eigenes ­Revier zu pachten, und auf einmal wurde ich vom Konsumenten zum Produzenten. Ich errichtete Hochstände, pflegte Birschsteige und hatte Probleme mit Wildschäden. Heute bin ich selber mit meinem Sohn unterwegs. Die Jagd ist „Quality Time“ mit Familie und Freunden. Das Beutemachen ist bei mir mittlerweile schon etwas in den Hinter­grund getreten.

Unsere Aufgabe ist die Arbeit im Hintergrund, um jagdfeindliche Gesetz­gebungen zu ver­hindern. Das funktioniert nur mit gutem Lobbying.

WEIDWERK: Was sind die Prioritäten, die du in deiner Arbeit für die Jagd setzt?
Wir müssen über Medien, die nicht nur unsere eigene Jägergruppe erreichen, sondern die weit darüber hinausgehen, die Leistungen der Jägerschaft bekannt machen. „Jagdfakten“ war in Österreich das erste Beispiel, das die Jagd über Social Media „promotete“. Es wurde z. B. U-Bahn-Werbung mit Wildbret versucht, um das Thema Jagd als etwas völlig Normales und Selbstverständliches in der Gesellschaft zu positionieren.
Auch die Erhaltung der Biodiversität ist ein Argument, das jeder versteht. Bienensterben, Singvogelsterben usw. lässt niemanden kalt. Wir müssen der Öffentlichkeit und der Politik verständlich machen, dass die Jagd etwas Positives für die Natur und die Gesellschaft ist.
Die Jagd benötigt heute eine Vorwärtsstrategie; diese ist in erster Linie, sie der nicht jagenden Bevölkerung verständlich zu machen. Der CIC versucht dies professionell auf internationaler Ebene. Die Realität ist, dass der CIC viel im Hintergrund arbeiten muss, um jagdfeindliche Gesetze zu verhindern. Als Beispiel sei die geplante Außernutzungstellung von 10 % der europäischen Fläche angeführt, für die nur sanfter Tourismus, aber keine Jagd, keine Fischerei und kein Bergbau vorgesehen war. Diesen Gesetzesentwurf der Kommission hat der CIC gemeinsam mit den Bauern, der FACE (European Federation for Hunting and Conservation) und der ELO (European Landowners Organization) vereitelt.

WEIDWERK: Lieber Philipp, ich danke für das interessante Gespräch!

Steckbrief Dr. Philipp Harmer, CIC-Präsident

  • Berufliches: gelernter Jurist, Betreiber einer Land- und Forstwirtschaft, Immobilien­besitzer, Privat Equity, Jagdlobbyist
  • Lieblingswild: Gamswild, weil das Naturerlebnis und die Schwierigkeiten des Hochgebirges mit Wetterwechsel, Schnee, Ski und Schneeschuhen den Jäger über die Maßen fordern; Schrotjagd, am liebsten auf Rebhühner (wegen des hervorragenden Wildbrets)
  • Persönliches: 59 Jahre, verheiratet, zwei erwachsene Kinder (21, 23), seit Corona begabter Koch von Wildgerichten: „Ich habe ­gedacht, Kochen ist etwas, das ich nie beherrschen würde. Und durch Corona habe ich bemerkt, dass man es, wenn man sich damit beschäftigt, sehr wohl lernen kann!“
  • Lebensmotto: „Stay on Target!“