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Nachsuche: Expertentipps von Christoph Hitz

28. August 2024 -
Nachsuche: Expertentipps von Christoph Hitz - © Jakob Wallner
© Jakob Wallner

Wie aus einer Nachsuche ein 'Nachfinden' wird: Oberförster Christoph Hitz teilt seine Erfahrungen und gibt wertvolle Ratschläge für Jäger, um Nachsuchen erfolgreich abzuschließen.

Zarte Nebelschwaden und kalter Nieselregen künden vom nahenden Herbst. Die letzten Hoffnungsschimmer auf Jagderfolg reichen gerade noch aus, um trotz ­widriger Witterung am Ansitz zu ­harren. Diana ist gnädig – im letzten Büchsenlicht zieht ein passender Rothirsch an den Rand der Lichtung nahe des Einstandes. Das Absehen ruht am Blatt, der Schuss bricht. Jetzt aber ­hurtig, um noch vor Einbruch der Nacht beim Stück zu sein.
Doch scheint bereits der Hinweg ungewollt lang. Auch der Anschuss, der von der Leiter aus noch so einfach zu erkennen war, verbirgt sich nun des Blickes. Vom beschossenen Trophäenträger ganz zu schweigen.

Nachsuchenprofi Christoph Hitz: Einblicke in die Arbeit auf der Roten Fährte

Auch wenn Jagderlebnisse dieser Art wohl eher selten zu Geschichten in Jäger­kreisen werden, Ob.-Fö. Ing. Christoph Hitz könnte ganze Bücher mit seinen Nachsuchen-Erfahrungen füllen.
Vom Stift Lilienfeld mit der Revierleitung von Annaberg und Ötscher ­betraut, ist der Oberförster – „neben“ der Bewirtschaftung von knapp 4.000 ha Forstfläche – regelmäßig als Gespann mit seinen Hannover’schen Schweißhunden im Einsatz.
Wir haben den Nachsuchenprofi vor der anstehenden Hirschbrunft zum Interview gebeten und spannende ­Einblicke in die fordernde Arbeit auf der Roten Fährte erhalten – wertvolle Tipps und Tricks inklusive.

Nachsuche bei Wild: Expertenrat von Christoph Hitz im Interview

WEIDWERK: Lieber Christoph, als Hunde­führer mit knapp 3.000 Nach­suchen am Buckel hast du vermutlich schon alles gesehen. Welche Ursachen führen am häufigsten zu Nachsuchen?
Ob.-Fö. Ing. Christoph Hitz: Haupt­ursache ist ganz klar die menschliche Komponente. Im Speziellen die mangelnde Schießpraxis im Jagdbetrieb. Es macht nämlich schon einen Unterschied, ob ich „nur“ auf dem Schießstand oder auch bei der Jagd sauber schieße. Hinzu kommen oftmals Faktoren wie Selbstüberschätzung oder auch die ­falsche Kaliberwahl.

WEIDWERK: Inwiefern überschätzen sich die Schützen?
Hitz: Vor allem hinsichtlich der Entfernung zum Stück. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob ich auf 100 oder auf 300 Meter schieße; die Wahrscheinlichkeit zu treffen, ist auf kürzere Distanz einfach eine höhere.
Speziell bei der Rotwildbejagung werden viele Schützen durch den ­größeren Wildkörper verleitet, trotz zu großer Entfernung den Finger zu krümmen. Allerdings: Die „Solltrefferfläche“ bleibt – im Verhältnis zum Wildkörper – gleich „klein“ wie zum Beispiel bei einem Rehbock. Zudem ­fallen auf größere Distanz Wind­einfluss, Sicht und Geschoss wesentlich stärker ins Gewicht.

WEIDWERK: Welche Rolle spielen technische Hilfsmittel wie Schall­dämpfer oder Wärmebildbeobachtungsgeräte in diesem Zusammenhang?
Hitz: Der Einsatz von Schalldämpfern hat sich definitiv bewährt. Die Rückstoßminderung ermöglicht manch „ehrfürchtigem“ Schützen den Einsatz größerer bzw. geeigneterer Kaliber – weil er damit auch die „wuchtigere“ Büchse besser im Griff hat.
Durch Wärmebildbeobachtungsgeräte haben vor allem die kurzen Totsuchen auf 100–300 m deutlich abgenommen. Weil der Schütze mit dieser Technologie kleine Radien auch ohne Hund erfolgreich absuchen kann. Ist der Treffer allerdings nicht tödlich, sieht die Sache, vor allem beim Rotwild, schnell ganz anders aus.

WEIDWERK: Welche Faustregeln legst du Jägern nach dem Schuss ans Herz?
Hitz: Ganz allgemein: sich nicht zu stressen, auch wenn das Stück nicht im Feuer liegt. Denn selbst mit einem sauberen Lungenschuss kann das Stück noch über kurze Strecken flüchten und unmittelbar danach – in einem ­Bereich, den ich etwa vom Ansitz aus nicht ­einsehen kann – verenden. Nach der altbekannten Wartezeit von einer ­halben Stunde bewegt man sich so leise wie möglich zum Anschuss. Diesen sollte man sich bereits im Vorfeld ­anhand markanter Punkte bestmöglich einprägen – vor allem in gebirgigen ­Regionen. Auf einer Wiese mit hohem Bewuchs und wenigen Anhaltspunkten kann man sich zusätzlich mit dem ­Entfernungsmesser helfen. Findet man am Anschuss keine eindeutigen Birschzeichen wie Lungenschweiß, die auf einen tödlichen Treffer schließen lassen, wird dieser deutlich verbrochen. Die Suche ist vorerst abzubrechen, um ein Gespann hinzuziehen zu können.

WEIDWERK: Klingt nach einem drastischen Schritt. Was steckt dahinter?
Hitz: Natürlich muss das immer im Kontext betrachtet werden, doch meiner Erfahrung nach reagiert das Wild auf die Kugel, als würde sich unsereins in den Finger schneiden. Es kann den Schmerz zuerst nicht direkt zuordnen und flüchtet in den Bestand – in ­Sicherheit. Beim Rotwild sind das etwa 70–100 m, danach verhofft es und „analysiert“, was gerade geschehen ist.
Findet man am Anschuss Schnitthaare oder Röhrenknochen – zum ­Beispiel bei einem Streif- oder Laufschuss –, kann davon ausgegangen ­werden, dass das Stück keine tödliche Verletzung davongetragen hat. Nun muss man behutsam vorgehen, um seiner ­habhaft zu werden. Nähert man sich nämlich zu voreilig, flüchtet es, bis es entweder umfällt oder sich abermals in Sicherheit wähnt. Das verlängert die Nachsuche immens. Zum Vergleich: Bei einem suboptimalen, aber dennoch tödlichen Treffer zieht das getroffene Stück Wild in einem Radius von etwa 500 m ins Wundbett; dort verendet es oder ist schwer krank.

Nachsuche: Expertentipps von Christoph Hitz - Oberförster und Bereichs­hunde­führer Ing. Christoph Hitz und seine beiden Hannover’schen Schweißhunde sind allzeit bereit. - © Jakob Wallner
Oberförster und Bereichs­hunde­führer Ing. Christoph Hitz und seine beiden Hannover’schen Schweißhunde sind allzeit bereit. © Jakob Wallner
Nachsuche: Expertentipps von Christoph Hitz - © Jakob Wallner
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WEIDWERK: Was kann der Schütze im Vorfeld tun, um die Arbeit des ­Nachsuchegespanns zu unterstützen?
Hitz: Wie bereits erwähnt, sind zu allererst der Anschuss ordentlich zu ver­brechen und etwaige Knochensplitter und Schnitthaare einzusammeln – insbesondere dann, wenn erst am Folgetag nachgesucht wird. Mit dem Handy kann man ergänzend auch noch Fotos machen. Diese Indizien – in Kombination mit einer möglichst genauen Schilderung des Hergangs – helfen ungemein.

WEIDWERK: Was sollte diese ­Schilderung alles beinhalten?
Hitz: Neben vielen anderen Details wie Entfernung, Wildart bzw. Stück und wie dieses gezeichnet hat, optimalerweise auch, welche Seite beschossen worden ist – links oder rechts. Weiters die Fluchtrichtung und von welcher Richtung es ausgetreten ist.

Nachsuche: Expertentipps von Christoph Hitz - © Jakob Wallner

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WEIDWERK: Inwiefern ist die ­beschossene Seite relevant?
Hitz: Wenn das Stück zum Beispiel rechtsseitig beschossen worden ist, schweißt es einschussseitig, also rechts, bei einem Durchschuss beidseitig aus. Wechselt im Fährtenverlauf die Seite, kann ich einen möglichen Widergang des Wildes ableiten und meinen Hund entsprechend unterstützen.

WEIDWERK: Und im Fall der Flucht- bzw. Auszugsrichtung?
Hitz: Im Regelfall flüchtet tödlich getroffenes oder schwer krankes Wild eher dorthin, wo der Äser gerade hinzeigt. Im Bergland wiederum eher talwärts. Wohingegen Stücke mit „leichteren“ Verletzungen hundertachtzig Grad kehrtmachen, zurück in den Einstand flüchten und verhoffen. Allerdings ­bestätigen Ausnahmen die Regel.

WEIDWERK: Was gilt es vonseiten des Gespanns zu berherzigen?
Hitz: Auch hier ist Stress gänzlich fehl am Platz. Bereits am Anschuss muss sich der Hunde­führer genug Zeit nehmen und diesen ausgiebig untersuchen. Verlängert sich dadurch die Stehzeit der Fährte um eine halbe Stunde, macht das für den Hund keinen Unterschied.
Ich vergleiche Nachsuchen gern mit einem Puzzle: Umso mehr Teile ich finde, desto detaillierter wird das ­Gesamtbild bzw. desto leichter fällt es mir, Rückschlüsse zu ziehen oder Ungereimtheiten auszuräumen.

WEIDWERK: Hast du ein Praxis­beispiel eines solchen Puzzleteils?
Hitz: Normalerweise ist hellroter Lungenschweiß ein Indiz für einen ­tödlichen Treffer; wenn sich aber bei einem Laufschuss Knochenmark und Wildbretschweiß vermengen, sieht das dem „Original“ oft täuschend ähnlich. Zerreibt man diese Mischung allerdings zwischen den Fingern, bleibt immer etwas Fett zurück. Wenn man das in der Eile nicht kontrolliert, fehlt kritische Information – das sind zwei gänzlich unterschiedliche Nachsuchen.

WEIDWERK: Wie geht es nach der Kontrolle des Anschusses weiter?
Hitz: Ruhe ist auf der ganzen Strecke gefragt, denn man neigt dazu, schneller zu werden. Mittels GPS können wichtige Punkte der Fährte digital markiert ­werden, zugleich sollte man diese vor Ort gut sichtbar mit Bändern kennzeichnen. Es geht schließlich auch um Nachvollziehbarkeit, etwa für andere Hundeführer oder für den Schützen, falls man das Stück – vor allem Trophäenträger – nicht bringen kann.

Nachsuche: Expertentipps von Christoph Hitz - © Jakob Wallner
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Nachsuche: Expertentipps von Christoph Hitz - © Jakob Wallner
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WEIDWERK: Welche Kriterien erfordern den Abbruch einer Nachsuche?
Hitz: Im Sinne der Weidgerechtigkeit keine leichte Entscheidung, dennoch muss ich abbrechen, wenn der Hund nicht mehr arbeiten kann oder will, oder ich selbst körperlich nicht mehr in der Lage bin. Da spielen Tagesverfassung oder Gesundheitszustand von Mensch und Tier eine wesentliche Rolle. Für entsprechenden Ersatz, der im besten Fall die Nachsuche erfolgreich abschließt und das Stück bringt, sollte man allerdings jedenfalls sorgen.

WEIDWERK: Wann käme eine Nach­suche für dich gar nicht infrage?
Hitz: Auch das ist von vielen Faktoren abhängig, aber mittlerweile sind Nachsuchen in der Nacht für mich tabu. ­Besonders, wenn wehrhaftes Wild, zum Beispiel ein grober Keiler, im Spiel ist. Grund dafür ist, dass ich als Hunde­führer dem Hund überhaupt nicht ­helfen kann. Da darf einen der eigene Stolz nicht blenden, und man startet die Nach­suche bei Tageslicht am nächsten ­Morgen.

WEIDWERK: Herr Oberförster, wir bedanken uns für das Gespräch!