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Wildtiermanagement: Strategien & Beispiele

4. April 2024 -
Rehbock - © Michael Migos
© Michael Migos

Die Österreichische Jägertagung gilt seit jeher als Treffpunkt der internationalen Jagdszene, um sich in aktuellen jagd- und forstlichen Themen auszutauschen. Diesmal stand das Wildtiermanagement im Zentrum der Betrachtungen. – 1. Teil.

Die Puttererseehalle in Aigen/Ennstal, Stmk., war bis auf den letzten Platz gefüllt, und neben zahlreichen Landes­jäger­meistern, darunter DI (FH) Anton Larcher (T), Dr. Walter Brunner (Ktn.), Max Mayr-Melnhof (Sbg.), Franz Mayr-­Melnhof-Saurau (Stmk.) und Herbert Sieghartsleitner (OÖ), fanden sich auch Landwirtschafts­minister Mag. Norbert Totschnig, MSc., selbst seit 14 Jahren Jäger, und eine Vielzahl von Ehren­gästen aus der Land- und Forstwirtschaft ein.

LJM Max Mayr-Melnhof, Österreichische Jägertagung 2024 - "Wärmebild ist kein Mittel, die Wildtierbestände zu regulieren, ausgenommen ASP und eventuell Raubwild. Tun wir es ­dennoch, werden uns vermehrte Wildschäden schneller einholen, als es uns lieb ist. Schonzeit ist auch in der Nacht, wo das Wild noch in Ruhe Äsung auf­nehmen kann." – LJM Max Mayr-Melnhof, Präsident Jagd Österreich - © Martin Grasberger
"Wärmebild ist kein Mittel, die Wildtierbestände zu regulieren, ausgenommen ASP und eventuell Raubwild. Tun wir es ­dennoch, werden uns vermehrte Wildschäden schneller einholen, als es uns lieb ist. Schonzeit ist auch in der Nacht, wo das Wild noch in Ruhe Äsung auf­nehmen kann." – LJM Max Mayr-Melnhof, Präsident Jagd Österreich © Martin Grasberger
Mag. Norbert Totschnig, MSc, Österreichische Jägertagung 2024 - "Unser Ziel muss es sein, das Ansehen der Jagd in der ­Gesellschaft zu ­steigern, wir dürfen nicht in Deckung gehen und müssen für die Jagd sowie das, was sie leistet, kommunizieren." – Mag. Norbert Totschnig, MSc., Bundesminister für Land- und ­Forstwirtschaft, Regionen und ­Wasserwirtschaft - © Martin Grasberger
"Unser Ziel muss es sein, das Ansehen der Jagd in der ­Gesellschaft zu ­steigern, wir dürfen nicht in Deckung gehen und müssen für die Jagd sowie das, was sie leistet, kommunizieren." – Mag. Norbert Totschnig, MSc., Bundesminister für Land- und ­Forstwirtschaft, Regionen und ­Wasserwirtschaft © Martin Grasberger

Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft bezeichnete die Jäger­tagung als wichtiges Instrument zur Auf­arbeitung jagdlich relevanter Themen und die Jägerinnen und Jäger in Bezug auf den fortschreitenden Klimawandel als Teil der Lösung und als Botschafter der Jagd. „Unser Ziel muss es sein, das Ansehen der Jagd in der Gesellschaft zu steigern, wir dürfen nicht in Deckung gehen und müssen für die Jagd sowie das, was sie leistet, kommunizieren!“ In ­Richtung Fischotter und Biber meint der Minister, dass dann, wenn der Natur­schutz in seiner Wirkung greife und die Bestände sich erholen würden, der nächste Schritt, nämlich die ­Schaffung einer Flexibilität in der gesetz­lichen Grundlage und der Beginn eines Wildtiermanagements, möglich sein müsse. Er spricht aber auch die EU-Gesetz­gebung an, die grundlegende Auswirkungen auf Mitgliedsstaaten und Bundesländer habe, und appelliert an die Jäger, darauf zu achten, was auf EU-Ebene passiere. Zur Wald-Wild-­Debatte meint er: „Gemeinsam mit
der Jagd müssen wir [im Ministerium] Maßnahmen realisieren, die uns aus der Schusslinie bringen, auch in ­Richtung des aktuell geforderten Bundes­jagd­gesetzes.“ BM Totschnig setzt sich unter anderem dafür ein, die Jagd zu professionalisieren, etwa durch den neuen Lehrberuf „Berufsjagdwirtschaft“, welcher im Ministerialentwurf des Land- und forstwirtschaftlichen Berufs­ausbildungs­gesetzes zu finden sei. Aber auch an der BOKU, wo Forstwirte ausgebildet würden, solle die Jagd ­verpflichtend gelehrt werden, so der Landwirtschaftsminister. Zum Thema Wolf stellt er in Aussicht, dass eine Herab­stufung des Schutzstatus möglich sei und weist darauf hin, dass man ein Monitoring brauche, um rechtzeitig Daten zur Verfügung zu haben, welche von der EU-Kommission dann sicherlich gefordert würden.

Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer, Österreichische Jägertagung 2024 - "Wir müssen inter­disziplinär mit den Grundeigentümern und den anderen Interessenvertre­tun­gen zusammen­arbeiten." – Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer, Universität für Bodenkultur Wien - © Martin Grasberger

"Wir müssen inter­disziplinär mit den Grundeigentümern und den anderen Interessenvertre­tun­gen zusammen­arbeiten." – Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer, Universität für Bodenkultur Wien © Martin Grasberger

Wildtiermanagement: Was ist das?

Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer (Universität für Bodenkultur Wien) bezeichnet das Wildtiermanagement als Managementprozess, der die Inter­aktionen zwischen Wildtieren, ihren Lebensräumen und dem Menschen ­beeinflusse, um vordefinierte Ziele zu erreichen. Es werde versucht, die Bedürfnisse der Wildtiere mit den ­Bedürfnissen der Menschen in Einklang zu bringen, wobei die besten verfüg­baren wissenschaftlichen Erkenntnisse genutzt würden, so Hackländer. Es gehe darum, eine Balance zwischen dem, was der Mensch als Nutzer möchte, und dem, was das Wildtier ebenfalls als Nutzer möchte, herzustellen.
Die Landschaft, in der wir leben, ist keine Natur-, sondern eine vom Menschen geprägte Kulturlandschaft, mit der sich nicht alle Wildtiere arrangieren können. Es gibt etwa diejenigen, die davon profitieren – das sind die ­Gewinner. Und es gibt die Verlierer, etwa das Rebhuhn, dessen Besätze in den letzten Jahrzehnten um über 90 % ­zurückgegangen sind. Dies zeigt, dass es Handlungsbedarf gibt. Genauso wie es beim Fuchs Handlungsbedarf gibt, der als Gewinner diese gefährdeten Arten noch weiter bedroht bzw. auch Krankheiten mit sich bringt. „Als Gesell­schaft wollen wir eine maximale Artenvielfalt, eine maximale Biodiversität. Und wir wollen gleichzeitig so wenig Wildschaden wie möglich“, so der Universitätsprofessor.
Wildtiermanagement ist weit mehr, als bloß zu sagen, dass der Wolf „gemanagt“, sprich bejagt werden müsse. Wildtiermanagement ist viel, viel mehr als Regulierung. Obwohl nicht genau feststeht, woher das Wort „Management“ kommt, sind zwei Ableitungen bekannt: vom lateinischen manus agere (an der Hand führen) oder, noch besser, von mansionem agere (das Haus bestellen).
Der Vater dieses Gedankens, dass man etwas tun und nicht einfach nur zuschauen müsse, war Aldo Leopold (1887–1948), ein US-amerikanischer Wildbiologe, der 1933 das Buch „Game Management“ geschrieben und einen wichtigen Satz geprägt hat: „Das Wild kann durch den kreativen Einsatz der gleichen Werkzeuge wieder hergestellt werden, die es zuvor zerstört haben: Axt, Pflug, Rind, Feuer und Gewehr.“ Diese genannten Einflussfaktoren ­können also dazu führen, dass manche Arten Lebensräume verlieren, können aber auch, richtig angewandt, dazu führen, dass sie wieder Lebensraum gewinnen.
Das Wildtier­management, das wir seit Leopold weiterentwickelt haben, hat im Prinzip drei Strategiefelder: Schutz, Kontrolle und nachhaltige Nutzung. Und um diese Ziele zu erreichen, gibt es drei Maßnahmenbereiche: Bewahrung sowie direkte und indirekte Manipulation. Bei Letzterem greift der Mensch die Tiere nicht direkt an, sondern ver­bessert oder verschlechtert zum Beispiel die Lebensraumbedingungen.
Ein Beispiel aus dem Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der BOKU: Dr. Florian Kunz hat im Schwarzwald mit weiteren Kollegen an der Frage, wie man dem Auerhahn helfen könne, gearbeitet. Der Schwarzwald, ein deutsches, etwa 6.000 km² großes Mittel­gebirge, war lange Zeit perfekter Lebensraum für Auerhühner. Dort gab es eine intensive Waldnutzung, Waldweide, lichte, offene Wälder, wie sie in der Taiga bzw. in der Tundra üblich sind, und auch viele Auerhühner. Die Anzahl balzender Hahnen ist aber seit dem 19. Jahr­hundert drastisch zurück­gegangen, weil der Kronenschluss dichter, der Lebens­raum auerhuhnfeindlicher geworden ist. Was wir in diesem Managementprojekt sehen, ist, dass die Populationen bereits jetzt eine deutliche genetische Differenzierung aufweisen und dass sich die Situation bis 2050 weiter verschlechtern wird. Und deswegen benötigen wir dort ­Korridore und Trittsteine, dass sich diese Popu­lationen wieder besser vernetzen können. Und natürlich muss der Lebensraum in dem Kerngebiet auerwildfreundlicher sein.
Ein zweites Beispiel, das Dr. Hackländer bringt, stammt aus dem Kaprunertal (Gutsbetrieb Fischhorn), wo es in den Jahren 2002/03 große Kalami­täten mit unvorstellbaren Schadholzmengen in schwer zugänglichen Objektschutzwäldern gab. Es ging um die Frage, wie man in dieser „grünen Hölle“, die nach diesen Windwurf­ereignissen durch den Jungwuchs entsteht, den Wildeinfluss reduzieren könne. Die Zugänglichkeit, die Sichtbarkeit von Wild und die Bringungsmöglichkeit entscheiden, ob man dort überhaupt jagen kann. Paul Griesberger, MSc., von der BOKU hat dort ein Bejagbarkeitsmodell erstellt, wo er die Landschaft in drei Fragen qualifiziert hat: Kann man dort überhaupt hin, kann man dort schießen, kann man das Wild dort bringen? „Wir alle wissen, was passiert, wenn der Jagddruck erhöht wird; das Wild zieht dorthin, wo es weiß, dass es sicher ist“, stellt Hackländer klar. Wo der Jäger nicht jagen kann, da ist das Wild ­tagsüber, weil es dort unbehelligt bleibt. Und dort, wo Flächen sehr gut ­bejagbar sind, ist es nachts, und wenn dort keine Nachtjagd stattfindet, ist es dort ebenfalls vor dem Jäger sicher. Das ist im Prinzip ein „Wettrüsten“. Die Politik hat dazu manchmal sehr einfache Rezepte, wie die Verlängerung der Jagdzeiten oder die Nachtjagd; das Wild reagiert darauf, wird noch heimlicher und noch schwieriger zu bejagen. Das weiß jeder von uns, aber oft hilft es, wenn man Daten hat, die das entsprechend bestätigen. Es bedarf, und das ist das Fazit aus diesem Projekt, einer engen Abstimmung zwischen Jagd und Grund­eigentümern, denn sie müssen umsetzen, was hier an Maßnahmen entwickelt worden ist – etwa Intervalljagd und Schwerpunktbejagung. Es müssen aber auch die Erholung­suchenden gelenkt werden, und Fütterung sowie attraktive Äsungsflächen gelten dabei ebenfalls als wichtige ­Instrumente. Es wird also mit ent­sprechendem Jagddruck eine „Landschaft der Furcht“ etabliert, wodurch sich das Wild in diesen Verjüngungsflächen zu einer gewissen Zeit einfach nicht wohlfühlt und woanders seine Äsungsbedürfnisse stillt.
„Wir müssen interdisziplinär mit den Grundeigentümern und den anderen Interessenvertretungen zusammen­arbeiten. Das ist als partizipativer Prozess zu sehen, wo man Kompromisse sucht. Die Maßnahmen müssen evidenzbasiert sein, permanent evaluiert werden und – ganz wichtig – ein Monitoring, die Erfolgskontrolle als unerlässlichen Teil des Wildtiermanagements ent­halten“, schließt Hackländer.

Paul Griesberger MSc., Österreichische Jägertagung 2024 - "Erhaltungs­maßnahmen und Wiederansiedlungsprojekte sind hauptverantwortlich für das heutige Steinwildvorkommen." – Paul Griesberger MSc., Universität für Bodenkultur Wien - © Martin Grasberger

"Erhaltungs­maßnahmen und Wiederansiedlungsprojekte sind hauptverantwortlich für das heutige Steinwildvorkommen." – Paul Griesberger MSc., Universität für Bodenkultur Wien © Martin Grasberger

Schalenwildsituation

Paul Griesberger, MSc. (Universität für Bodenkultur Wien), hat sich mit dem Thema „Die Situation des wiederkäuenden Schalenwildes“ auseinander­gesetzt und den Zuhörern nähergebracht.
Das Rehwild ist nicht nur die häufigste Schalenwildart Österreichs, sondern auch in ganz Europa, mit Ausnahme einiger kleinen Inseln, flächendeckend verbreitet. Zurück­zuführen ist das auf die starke ­Anpassungsfähigkeit des Rehwildes, denn dieser Kultur­folger kommt in der vom Menschen erschaffenen ­Kulturlandschaft perfekt zurecht. Dementsprechend ist es kaum über­raschend, dass in Mitteleuropa etwa 15 Millionen adulte Individuen leben. In Österreich ist in den letzten 70 Jahren ein steigender Trend bei den Abschusszahlen erkennbar – mit einem Rekordwert von 291.289 Stück im Jahr 2022. Die Jagdstrecke dient als Hinweis für zunehmende Bestandeszahlen in Österreich, wobei dieser Trend auch in ganz Europa erkennbar ist. Es stellt sich die Frage, wie mit derart zunehmenden Bestandeszahlen umzugehen ist: Die ­Regulierung des Rehwildes ist meist mit einem hohen Zeitaufwand ver­bunden. Mit zunehmender Bejagung kann ­parallel dazu der Jagddruck ­steigen, was sich negativ auf den Jagderfolg auswirkt, denn mit steigendem Jagddruck wird das Reh scheuer und schwieriger zu bejagen. „Um dem ­entgegenzuwirken, sind klare Ziele und konsequente integrale Maßnahmen ­erforderlich“, so Griesberger.
Im Gegensatz zum Rehwild ist das Rotwild in Europa nicht flächen­deckend, sondern etwas lückenhafter verbreitet. Vor allem in Ländern wie Deutschland können zunehmend Verinselungen beobachtet werden, wodurch der Austausch zwischen einzelnen ­Beständen immer schwieriger wird und diese genetisch verarmen. Zur Fragmentierung des Lebensraumes kommt es primär durch den Bau menschlicher Infrastruktur. Durch den menschlichen Einfluss, sei es durch Jagd, Forst oder Freizeitnutzer, ist der ursprünglich dämmerungs- sowie tagaktive Bewohner der offenen Landschaft zu einem nachtaktiven Waldbewohner geworden. Daher wird es immer schwieriger, das Rotwild zu beobachten und zu bejagen, obwohl die Bestände teilweise immer noch ­steigen (Jagdstrecke im Jahr 2022 57.736 Stück). Griesberger weiß: „Anhand integraler und großräumiger Lösungsansätze kann man den steigenden Wildeinfluss aufgrund zunehmender Bestandeszahlen gut managen.“
Die dritte Schalenwildart, das Gamswild, ist in den gebirgigen Regionen Süd- und Mitteleuropas anzutreffen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2021 existieren derzeit etwa 300.000 Indi­viduen in ­Europa, wobei die Bestände nicht ­zunehmen, jedoch stabil sind.
In ­Österreich trifft man die Wildart in den Waldgrenzbereichen und alpinen Offenflächen des Alpenraumes an. Allgemein betrachtet, sind die Bestände in Österreich bis 1992 gestiegen, danach bis 2006 gesunken, aber seitdem stabil. Der abnehmende Abschusstrend lässt sich unter anderem anhand des gestiegenen Anteils erlegter Geißen und Kitze erklären. Regional zeigen sich ­jedoch starke Unterschiede in der ­Bestandesentwicklung, die vor allem auf anthropogene Störungen, klima­tische Veränderungen und mögliche Konkurrenzsituationen mit anderen Schalenwildarten zurückzuführen sind.
Zu guter Letzt ging Griesberger auf das Steinwild ein. Heutzutage ist das Steinwild – dank der Wieder­ansiedlungsprojekte – wieder über den gesamten Alpenraum vertreten. Ende des 19. Jahrhunderts war dieses Wildtier aufgrund intensiver Verfolgung beinahe aus­gestorben. Derzeit sind die Bestände stabil, jedoch existieren lediglich 53.000 adulte Individuen in Europa (Stand 2020). In Österreich leben derzeit etwa 7.500 Tiere, wobei der Großteil in Tirol anzutreffen ist (die Abschusszahlen lagen 2022 österreichweit bei 680 Stück). Trotz stabiler Bestände verfügt das Steinwild jedoch über eine geringe ­genetische Diversität, was zu negativen Konsequenzen, wie unter ­anderem ­fehlende Anpassungsmöglichkeiten bei äußeren Veränderungen oder Krankheiten, führen kann. „Aufgrund der mangelnden genetischen Vielfalt ist die Zukunft des Alpen­steinbockes ungewiss“, fasst Griesberger zusammen.

Fortsetzung folgt!