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Wolfsschutz: Konflikte, Recht & Zukunft in Europa

28. Februar 2025 -
Wolf - © Karl-Heinz Volkmar
© Karl-Heinz Volkmar

Der Wolf polarisiert: Naturschutzorganisationen, Landwirte und Jäger stehen sich vor Gericht gegenüber. Einblick in aktuelle Konflikte, rechtliche Entwicklungen und den Schutzstatus des Wolfes in Europa.

Die folgenden Zeilen sind einem Thema gewidmet, das die Menschen sehr bewegt. Das war zu allen Zeiten und in allen Gegenden so, in denen der Wolf vorkam und heute wieder vorkommt. Bei Weitem nicht jedes Tier genießt diese Aufmerksamkeit und bei Weitem nicht jedes Tier löst solche Konflikte aus. Warum das so ist, wo diese Konfliktlinien verlaufen und wer sich in diesen Konflikten gegenübersteht, ist einen genaueren Blick wert, bevor man sich der Frage zuwendet, mit welchen rechtlichen Instrumenten und Argumenten versucht wird, diese Konflikte zu lösen.
Die Parteien im Streit um den Wolf sind am leichtesten zu identifizieren, wenn man sich ansieht, wer sich in den unzähligen gerichtlichen Verfahren zu diesem Thema gegenübersteht. Das wird besonders schön von der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs illustriert, die am 11. Juli 2024 zu einer Tiroler Ausnahme vom Wolfsbejagungsverbot ergangen ist. WWF, Ökobüro, Naturschutzbund, Umweltdachverband und Wiener Tierschutzverein waren gegen die Tiroler Landesregierung eingeschritten. Dieses Beispiel ist exemplarisch. Es belegt ein zumindest in ganz Europa festzustellendes Muster: Von ihren freiwilligen (aber nicht bekannten) Mitgliedern getragene Vereine verfolgen ihre statutarischen Zwecke vor den Gerichten. Sie stützen sich dabei auf die umfangreiche internationale, supranationale und nationale Gesetzgebung zum Schutz bestimmter Arten. Das alles ist selbstverständlich vollkommen zulässig. Als Gegner in ihren rechtlichen Verfahren suchen sich diese Vereine zum einen die demokratisch legitimierten und kontrollierten Institutionen in unserer Exekutive – in Österreich meistens also die Landesregierungen. Als Gegner erwählen diese Vereine im Naturschutzbereich häufig aber auch private Personen und Interessensträger – wie etwa Landwirte, Forstwirte oder Jäger. Die drei Letztgenannten sind ohne die unmittelbare Nutzung natürlicher Ressourcen nicht denkbar, und daher betrifft der beschriebene Konflikt sie existenziell. Auf die üblicherweise klagenden oder anzeigenden Vereine trifft dies nicht zu. Gerade das macht den Konflikt so explosiv. Es stehen sich nicht etwa – wie beispielsweise im Streit um den Ersatz von Wildschäden oder die Festlegung von Abschuss­zahlen – Naturnutzer gegenüber, die grundsätzlich die Ressourcenabhängigkeit auch des Gegenübers nachvollziehen können. Nein, es stehen sich Parteien gegenüber, von denen die eine auf die Ressourcennutzung angewiesen ist, von ihr auch materiell abhängig ist, während das auf die andere nicht zutrifft, weil sie nur ideelle Zwecke verfolgt, wobei manche der agierenden Vereine so weit gehen, die großflächige Wiederherstellung von Wildnisgebieten in Europa zu fordern, in denen weder Bauer, noch Förster, noch Jäger etwas verloren hätten. Wer diese Asymmetrie – in all ihrer Problematik – nicht erkennt, verschätzt sich zwangsläufig bei der Beurteilung der Dramatik des Konflikts. Wie das ausgehen kann, hat die Geschichte des ländlichen Raumes gerade im Umgang mit den besonders vornehmen Arten, wie Bär oder Wolf, schon mehrfach gezeigt. Das historische Gedächtnis der heute beteiligten Akteure scheint aber durchaus beschränkt zu sein.

Wolfsschutz: EU-Entscheidung und juristische Konflikte

Wie mit der Kernfrage zum Thema Wolf – seiner Schutzwürdigkeit – umgegangen wird, ist nun gerade in den letzten eineinhalb Jahren wieder besonders spannend geworden. Die Tierart hat sich in Europa so stark ent­wickelt, dass das EU-Parlament am 24. November 2022 die Kommission aufgefordert hat, den Schutzstatus des Wolfes zu senken. Daher schlug die Kommission am 20. Dezember 2023 tatsächlich vor, den Status des Wolfes nach der Berner Konvention von „streng geschützt“ auf „geschützt“ abzusenken. Sie stützte sich dabei nach ihrer eigenen Darstellung auf neue Daten über den Populationszuwachs und die Auswirkungen der Wolfspopulation. Am 3. Dezember 2024 hat der ständige Ausschuss des Übereinkommens von Bern für diesen Vorschlag der EU gestimmt und den Schutzstatus des Wolfes von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herabgestuft. Diese Änderung tritt am 7. März 2025 in Kraft. Nach diesem Datum wird die EU die Möglichkeit haben, die entsprechenden Anhänge der FFH-Richtlinie anzupassen. Die Kommission wird zu diesem Zweck Änderungen der Rechtsvorschriften vorschlagen, die von Rat und Parlament angenommen werden müssen.
Praktisch im genau gleichen Zeitraum führten die vier zuvor genannten Vereine Beschwerde gegen die Tiroler Landesregierung und vertraten, dass der Wolf eine besonders gefährdete Art wäre. Der Europäische Gerichtshof behandelte die daraus folgenden Fragen aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 19. September 2022. Der Gerichtshof entschied am 11. Juli 2024, wobei hier nicht auf alle Einzelheiten dieses Urteils eingegangen werden kann.
Wer sich aber bemüht, trotz aller Bäume in dieser Entscheidung den Wald noch zu sehen, der staunt nicht schlecht: In den zwei Jahren der Verfahrensdauer vertritt die EU-Kommission gegenüber den Institutionen der Berner Konvention, dass wegen der beachtlichen Entwicklung der Wolfs­population und ihrer Einwirkungen der Schutzstatus dieser Art gesenkt werden muss – doch der Gerichtshof urteilt allen Ernstes noch unter ausdrücklichem Bezug auf eine „vom Aussterben bedrohte Art“, deren günstiger Erhaltungszustand auf lokaler, nationaler und grenzüberschreitender Ebene gegeben sein müsse, damit es überhaupt Ausnahmen vom Abschussverbot geben könne. Abweichungen von diesem strikten Tötungsverbot wegen drohender mittelbarer Schäden durch die Ausweitung der Population wären nicht zulässig, wenn sie nicht präzise auf das einzelne abzuschießende Exemplar der Art zurückzu­führen wären, und wirtschaftliche Gesichtspunkte hätten keinen ausschlaggebenden Charakter – sie wären im Übrigen auch gegenüber dem allgemeinen Ziel der Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes abzuwägen. In der Rechtsliteratur wurde diese Entscheidung überwiegend als weitere Einschränkung der Möglichkeiten zur Gewährung von Ausnahmen vom Wolfsabschussverbot aufgefasst. In ganz kurzen Worten: Die Kommission folgt dem Parlament und stellt fest, dass die Entwicklung der Wolfsbestände und ihre Auswirkungen dazu führen müssen, jetzt den Schutzstatus zu senken. Sie beantragt das in Bern. Der EuGH judiziert aber genau gleichzeitig auf Basis der Annahme, der Wolf wäre eine vom Aussterben bedrohte Art. Das übrigens aber nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass Österreich allenfalls mit einer Untätigkeitsklage gegenüber der Kommission schon früher hätte tätig werden können.
An dieser Stelle bleibt also ganz nüchtern zu diagnostizieren, dass im vorliegenden, asymmetrischen Konflikt, der für die eine Seite materielle und existenzielle Dimensionen und die andere Seite bloß ideelle Konsequenzen hat, die höchste Instanz zur Konfliktlösung einen rein technokratischen Ansatz wählt, der die Argumente und Interessen der materiell betroffenen Konfliktpartei so gut wie gänzlich hintanstellt. Der Gerichtshof hätte nach sachlicher Lage des Falles und im Hinblick auf Parlamentsbeschluss und Kommissionsposition in Bern auch allemal sein Dogma von der angeblichen Notwendigkeit, die Ausnahmebestimmungen der FFH-Richtlinie besonders eng auszulegen, in dieser Fallkonstellation aufgeben können. Das hat er nicht getan. Kritiker nennen diese Herangehensweise „begriffsjuristisch“. Wenn es der Kommission nun nicht gelingen sollte, die dringend notwendige und von ihr ohnehin als solche erkannte Anpassung der Rechtsnormen (vor allem der FFH-Richtlinie) zügig durchzusetzen, wird der beschriebene Konflikt also absehbarer Weise noch viel dramatischer werden. Spannend ist das vor allem deshalb, weil die Änderungen zur Anpassung des Anhangs IV. der FFH-RL einen einstimmigen Ratsbeschluss erfordern.

Gewehrlauf lugt aus Kanzel - Neben der strikten Einhaltung des rechtlichen Rahmens ist bei einem Wolfsabschuss auch ein gewisses Fingerspitzengefühl obligat, da er stets auch das Interesse der Medien hervorruft. - © Adolf Schilling

Neben der strikten Einhaltung des rechtlichen Rahmens ist bei einem Wolfsabschuss auch ein gewisses Fingerspitzengefühl obligat, da er stets auch das Interesse der Medien hervorruft. © Adolf Schilling

Wolf in Österreich: Jäger zwischen Recht und Konflikt

Der einzelne Jäger in Österreich muss sich diesen Themen und diesem schwierigen Konflikt stellen. Für ihn sind dabei allerdings nur die landesrechtlichen Vorschriften einschlägig. Seine Aufgabe ist es nicht, sich den vorhin beschriebenen rechtlichen Besonderheiten zu widmen. Die Landesgesetzgeber haben dazu weiterhin die notwendigen Instrumente zur Hand und müssen sie auch einsetzen. In Kärnten funktioniert dies beispielsweise seit einigen Jahren, und dementsprechend wurden schon etliche Problem- und Risikowölfe entnommen. In Niederösterreich sehen § 100a des Jagdgesetzes und die zugehörige Verordnung Aufträge an Jagdausübungsberechtigte vor, die im Fall ihres Erlasses vom Adressaten natürlich auch auszuführen sind. Nach strikten und sach­lichen Katalogen ist festgelegt, wann es zu einem Abschuss kommen kann. Der einzelne Jäger kann sich im Anlassfall auch darauf verlassen, dass die Behörde rechtskonform – also auch europarechtskonform – vorgeht und muss einen Behördenauftrag nach § 100a NÖ JG nicht selbst überprüfen.
Dabei muss man sich übrigens auch vor den – leider durchaus erwartbaren – persönlichen Angriffen der zuvor erwähnten (und ähnlicher) Vereine nicht fürchten. Zu deren Strategie gehören nicht nur Verfahren von den Verwaltungsgerichten oder dem Europäischen Gerichtshof, sondern auch regelmäßig Anzeigen gegen Landesräte, Landesbeamte oder Jäger, die in Entnahmemaßnahmen involviert sind. Bis heute hat keine dieser Anzeigen zu einer Verurteilung der Angezeigten geführt, und das ist auch weiterhin nicht zu erwarten. Die zuweilen behauptete vorsätzliche Schädigung des Tierbestandes liegt schon tatbestandsmäßig nicht vor, und auch die Anzeigen wegen angeblichen Amtsmissbrauchs – ob gegen Landesräte oder gegen einen niederösterreichischen Jäger – haben zwar den Staatsanwaltschaften Arbeit gemacht, aber (korrekterweise) nicht einmal zu Anklageerhebungen geführt. Bestimmte Organisationen und Aktivisten versuchen bloß, Belastungen durch die Verfahrensführung herbeizuführen und die Betroffenen unter Druck zu setzen. Was die einzelnen Jäger betrifft, so leisten die Landesjagdverbände in der Regel im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten Unterstützung in diesen Verfahren, in denen es sogar vorgekommen ist, dass interne Kommunikation im Rahmen unberechtigter Anzeigen verwertet wurde, um die Betroffenen zu belasten und ihnen etwa ihre Sprachgewohnheiten zum Verhängnis werden zu lassen. In der Praxis kann man es sich natürlich auch durch Unaufmerksamkeiten selbst schwerer machen, was man lieber vermeiden sollte, denn auch die Medien werden häufig als Schauplatz gewählt.
Der Ausblick in die nähere Zukunft verspricht leider keine Veränderung der grundsätzlichen Asymmetrie und der Dynamik dieses Konflikts, wie sie vorhin beschrieben wurden. Eine Veränderung der Rechtslage sollte es hingegen auf Grundlage der Fakten geben, aber natürlich setzt das auch eine politische Willensbildung voraus. Dass der Gerichtshof seine bedrückend technokratischen Ansätze aufgeben wird, ist nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte nicht zu erwarten, auch wenn dies den Konflikt schon in der Vergangenheit ohne Not wiederholt verschärft hat, statt ihn zu entspannen.