Der Wolf zwischen Vollschutz und Management
Momentan gehen Schätzungen von 30–40 Wölfen in Österreich aus. Fürsprecher sehen in ihnen die Rückkehr der Wildnis, Kritiker mahnen jedoch vor den Folgen.
Durch seine Rückkehr bringt der Wolf eine Vielzahl ökologischer und ökonomischer Probleme und entsprechendes Konfliktpotenzial mit. Die Fronten zwischen Befürwortern und Kritikern des Wolfes verhärten sich zusehends. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und bestehenden Wolfsmanagementkonzepte stoßen schon jetzt an ihre Grenzen und werden in naher Zukunft neu zu überdenken sein.
Mangels eines umfassenden Monitorings ist die genaue Zahl der Wölfe in Österreich aktuell nicht feststellbar. In Niederösterreich sind drei Wolfsrudel, in Allentsteig, Harmanschlag und Gutenbrunn bestätigt. In den westlichen Bundesländern halten sich dagegen Einzelwölfe auf. Die Gesamtzahl der Wölfe in Österreich wird auf 30–40 geschätzt. Aktuelle Daten zum Wolfsbestand in Österreich finden sich auf der Website des Österreichzentrums Bär, Wolf, Luchs. Diese Zahlen könnten zu dem Schluss verleiten, dass Österreich gar kein Wolfsproblem habe. Aber der Schein trügt: Bei einer Vermehrungsrate von 30–40 % erscheint in 15 Jahren ein heimischer Bestand von bis zu 500 Wölfen realistisch. Diese Aussicht verdeutlicht, dass der absolute Schutzstatus des Wolfes nicht aufrechtbleiben kann und das Wolfsmanagement neu aufzusetzen ist.
Symbol wiederkehrender Natur
Diejenigen, die eine uneingeschränkte Verbreitung des Wolfes in Österreich befürworten, sehen darin eine Wiederherstellung von mehr Naturnähe und einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren heimischer Ökosysteme. Der Wolf wird mitunter als „Gesundheitspolizei des Waldes“ bezeichnet; er halte Wildbestand und Wald gesund, indem er vor allem kranke und schwache Tiere anfalle.
Am anderen Ende des Meinungsspektrums stehen allen voran Vertreter der Land- und insbesondere der Almwirtschaft. Im Almsommer des vergangenen Jahres wurden in den Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg mehr Wolfsrisse von Nutztieren als je zuvor verzeichnet. Auf Initiative der Agrarwirtschaft wurden daher Anträge auf Entnahme von Problemwölfen bei den Bezirkshauptmannschaften St. Johann im Pongau, Innsbruck-Land, Landeck sowie Kitzbühel gestellt. Den Entnahmeanträgen war kein Erfolg beschieden: Die Tiroler Bezirkshauptmannschaften wiesen die Anträge aufgrund einer fehlenden Verordnung zum Tiroler JagdG zurück. Einzig in Salzburg wurde eine Entnahme zunächst genehmigt. Eine Beschwerde des WWF und des Naturschutzbundes vor dem Landesverwaltungsgericht Salzburg brachte den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau jedoch zu Fall.
Auch die Jagdwirtschaft steht der uneingeschränkten Verbreitung des Wolfes in Österreich mit guten Gründen kritisch gegenüber und fordert rechtliche Rahmenbedingungen und ein Wolfsmanagement, das die Interessen der Jagd adäquat berücksichtigt. In der öffentlichen Diskussion kommen jagdwirtschaftliche Aspekte der Wolfsverbreitung bislang deutlich zu kurz. Während Herdenschutzmaßnahmen aus öffentlichen Mitteln gefördert werden und für gerissene Weidetiere Schadenersatz geleistet wird, bleibt bislang offen, wer für den Mehraufwand und Schaden in der Jagdwirtschaft aufzukommen hat, der durch die Verbreitung des Wolfes entsteht.
Hilferuf der Jagd
Im Vergleich zu Wolfsrissen von Weidetieren wurde bisher wenig gerissenes Schalenwild registriert. Verbreitet sich der Wolf, kann sich das rasch ändern. Schließlich zählen zu den Hauptbeutetieren des Wolfes die in Mitteleuropa vorkommenden Schalenwildarten, wie Rotwild, Rehwild, Schwarzwild, Gamswild und Muffelwild.
Da Österreich eine der höchsten Schalenwilddichten Europas aufweist, findet der Wolf optimale Bedingungen vor. Das Reißen von Weidetieren in signifikanter Zahl, wie es zuletzt auf westösterreichischen Almen zu beobachten war, ist vorwiegend ein Verhalten eingewanderter Einzelwölfe. Sobald Herdenschutzmaßnahmen dem Wolf das Reißen von Weidetieren erheblich erschweren und sich weitere Wolfsrudel etablieren, wird Schalenwild als Beutetier für den Wolf an Bedeutung gewinnen. Direkte Verluste in der Jagdwirtschaft durch Wolfsrisse werden entsprechend zunehmen. „Der Wolf ist ein Opportunist, der bei der Jagd nach Beutetieren den Weg des geringsten Widerstandes und der höchsten Effizienz geht“, bringt es Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer vom Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien auf den Punkt.
Schwerer noch als die direkten Schäden durch Wolfsrisse wiegen in der Jagdwirtschaft die indirekten Schäden, die allein durch die Anwesenheit von Wölfen im Jagdrevier entstehen. Wölfe beunruhigen das Wild dauerhaft und nachhaltig, wodurch dessen Raum-Zeit-Verhalten beeinflusst wird. Jäger in Revieren mit Wolfsvorkommen berichten, dass das Wild seither überwiegend nachtaktiv sei und nur mit wesentlich höherem Aufwand bejagt werden könne. Jagdausübungsberechtigte erleiden somit durch sinkende Erlöse aus dem Verkauf von Abschüssen und Wildbret wirtschaftlichen Schaden. Das veränderte Raumverhalten des Rotwildes kann zudem zu erhöhten Schälschäden führen, für die wiederum der Jagdausübungsberechtigte aufkommen muss. Schließlich sind Rotwild-Winterruhezonen und Notzeitfütterungen bei Anwesenheit von Wölfen im Revier nicht in bisheriger Form möglich. Diese müssten mit hohem finanziellem Aufwand vor Wölfen geschützt werden.
Für all diese Schäden und Zusatzkosten im Jagdbetrieb ist von öffentlicher Seite keine Kompensation vorgesehen. Ist die Wiederansiedelung des Wolfes in österreichischen Wäldern gesellschaftspolitisch gewünscht, muss eine tragbare Lösung für die Kompensation von Schäden gefunden werden. Die Landesjagdverbände haben bereits Anfang 2018 zu den negativen Auswirkungen der Verbreitung des Wolfes in Österreich auf die Jagdwirtschaft Stellung bezogen und entsprechende Forderungen an die Politik formuliert. Der im Positionspapier aufgezeigte Handlungsbedarf wird mit zunehmender Verbreitung des Wolfes in Österreich akut.
"Der Wolf ist ein Opportunist, der bei der Jagd nach Beutetieren den Weg des geringsten Widerstandes und der höchsten Effizienz geht."
Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer
Rechtlicher Schutzstatus
Der Wolf untersteht in Europa besonders hohem Artenschutz, der sich in erster Linie aus der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) aus dem Jahr 1992 ergibt. Der Wolf ist darin als „prioritäre Art“ (Anhang II) und als „streng zu schützende Tierart“ (Anhang IV) eingestuft. Die Mitgliedstaaten haben nach der FFH-RL ein strenges Schutzsystem einzurichten, das insbesondere die absichtliche Störung, den Fang und die Tötung verbietet (Art. 12 FFH-RL). Die FFH-RL fußt auf der Berner Konvention aus dem Jahr 1979 über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume. Im Kern sehen die Berner Konvention und die FFH-RL ähnliche Maßnahmen des Artenschutzes vor. Ausnahmen vom strengen Artenschutz sieht Art. 16 der FFH-RL nur in engen Grenzen vor, etwa zur Verhütung ernster Schäden in der Tierhaltung oder im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit. Voraussetzung ist aber immer, dass es keine anderweitig zufriedenstellende Lösung gibt und die Population der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilt.
Die Entnahme eines Wolfes ist nach dem strengen Regime der FFH-RL nur möglich, wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind. Wann genau dies der Fall ist, etwa wann ein „günstiger Erhaltungszustand“ der Wolfspopulation angenommen werden kann, ist im Einzelnen unklar. Eine bloß nationale Sicht greift zu kurz: „Aus wildbiologischer Sicht ergibt es keinen Sinn, den Erhaltungszustand einer Wolfspopulation, bezogen auf die Grenzen eines bestimmten Staatsgebiets, zu beurteilen. Wölfe halten sich nun einmal nicht an Staatsgrenzen. Man muss den günstigen Erhaltungszustand der Wolfspopulation einer gesamteuropäischen Betrachtungsweise unterziehen. Auf dieser Betrachtungsebene kann derzeit in Europa insgesamt jedenfalls von einem günstigen Erhaltungszustand der Wolfspopulation ausgegangen werden“, fasst Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer zusammen.
NÖ JagdG
Nach § 3 Abs. 1 Z 1 NÖ JagdG ist der Wolf zwar von seinem Geltungsbereich umfasst, wird aber in Absatz 2 der vorgenannten Bestimmung als nicht jagdbares Wild festgelegt. 2018 wurde in das NÖ JagdG der § 100a eingefügt, der Maßnahmen zum Schutz von Menschen und zur Abwendung von Schäden durch Wölfe vorsieht. Absatz 2 der Bestimmung sieht vor, dass dem Jagdausübungsberechtigten der behördliche Auftrag zur Vergrämung oder zum Abschuss eines Wolfes erteilt werden kann, wenn es die Gesundheit oder Sicherheit der Menschen oder die öffentliche Sicherheit erfordert. Nach Absatz 3 können Abwehrmaßnahmen gegen Wölfe auch zur Abwendung erheblicher Schäden in Land- und Forstwirtschaft oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden angeordnet werden. Ein Abschuss ist im Gesetz aber in jedem Fall ausdrücklich nur als letztes Mittel vorgesehen.
Die NÖ Landesregierung hat zu § 100a NÖ JagdG eine Verordnung erlassen, die genauer festlegt, bei welchen Verhaltensweisen eines Wolfes dessen Vergrämung oder Abschuss angeordnet werden kann. Ein „problematisches Verhalten“ eines Wolfes, das seinen Abschuss rechtfertigt, besteht nach der Verordnung etwa darin, dass der Wolf Menschen trotz Vertreibungsversuchen folgt oder ein Wolf mindestens zweimal sachgerechten Nutztierschutz überwindet und darin gehaltene Nutztiere tötet.
Klage für Gleichberechtigung?
Nach geltendem Recht hat Österreich praktisch keinen Spielraum zur Umsetzung eines geeigneten Wolfsmanagements. Die Entnahme von einzelnen Problemwölfen ist unter den engen (EU-)gesetzlichen Voraussetzungen in der Praxis nicht umsetzbar und als Instrument für ein Wolfsmanagement bei deutlich steigendem Wolfsbestand ungeeignet.
Als Österreich 1983 der Berner Konvention beigetreten ist und auch noch 1995 bei Einführung der FFH-Richtlinie im Zuge des Beitritts Österreichs zur EU, gab es hierzulande praktisch keine Wölfe. Um einem starken Anstieg des Wolfsbestandes in Österreich gerecht zu werden,
muss der absolute Schutzstatus des Wolfes überdacht und zu einem Wolfsmanagement übergegangen werden, das eine Bestandesregulierung auf ein in der österreichischen Kulturlandschaft ökologisch und ökonomisch verträgliches Ausmaß erlaubt. Dazu bedürfte es jedoch einer entsprechenden Anpassung der Berner Konvention und der FFH-RL, wozu enormer politischer Wille notwendig ist.
Der Leidensdruck ist aber offenbar noch nicht groß genug. Politischen Vorstößen, etwa von Seiten der Agrarwirtschaft, den strengen Schutzstatus des Wolfes aufzuweichen, hat sowohl die EU-Kommission als auch das österreichische Umweltministerium bislang eine deutliche Absage erteilt.
Medienberichten zufolge erwägt das Land Tirol eine Klage vor dem EuGH zur Erlangung einer Gleichbehandlung Österreichs gegenüber anderen Staaten, wie Finnland, Polen und Griechenland, in denen der Schutzstatus des Wolfes geringer sei. Dazu soll das Land Tirol ein Rechtsgutachten zum Schutzstatus des Wolfes unter der FFH-RL in Auftrag gegeben haben.
Es bleibt abzuwarten, ob darin juristisch stichhaltige Argumente entwickelt werden können, die zum gewünschten Ziel führen. Mit einer Änderung der FFH-Richtlinie und damit des Status quo zum Wolfsmanagement in Österreich kann in absehbarer Zeit aber wohl nicht gerechnet werden.