Artikel

Der Wolf zwischen Vollschutz und Management

2. Juni 2021 -
Wolf mit gerissenem Rotwild - © Eva Pum
© Eva Pum

Momentan gehen Schätzungen von 30–40 Wölfen in Österreich aus. Fürsprecher sehen in ihnen die Rückkehr der Wildnis, Kritiker mahnen jedoch vor den Folgen.

Durch seine Rückkehr bringt der Wolf eine Vielzahl ökologischer und ökonomischer Probleme und entsprechendes Konfliktpotenzial mit. Die Fronten zwischen Befür­wortern und Kritikern des Wolfes ver­härten sich zusehends. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und bestehenden Wolfsmanagementkonzepte stoßen schon jetzt an ihre Grenzen und werden in ­naher Zukunft neu zu überdenken sein.
Mangels eines umfassenden Monitorings ist die genaue Zahl der Wölfe in Öster­reich aktuell nicht feststellbar. In Niederösterreich sind drei Wolfs­rudel, in Allentsteig, Harmanschlag und Gutenbrunn bestätigt. In den west­lichen Bundes­ländern halten sich dagegen Einzelwölfe auf. Die Gesamtzahl der Wölfe in Österreich wird auf 30–40 geschätzt. Aktuelle Daten zum Wolfs­bestand in Öster­reich finden sich auf der Website des Österreichzentrums Bär, Wolf, Luchs. Diese Zahlen könnten zu dem Schluss verleiten, dass Österreich gar kein Wolfs­problem habe. Aber der Schein trügt: Bei einer Vermehrungsrate von 30–40 % erscheint in 15 Jahren ein ­heimischer ­Bestand von bis zu 500 Wölfen realistisch. Diese Aussicht verdeutlicht, dass der ­absolute Schutz­status des Wolfes nicht aufrechtbleiben kann und das Wolfs­management neu aufzusetzen ist.

Symbol wiederkehrender Natur

Diejenigen, die eine uneingeschränkte Verbreitung des Wolfes in Österreich befür­worten, sehen darin eine Wieder­herstellung von mehr Naturnähe und einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren heimischer Ökosysteme. Der Wolf wird mitunter als „Gesundheitspolizei des Waldes“ bezeichnet; er halte Wild­bestand und Wald gesund, indem er vor allem kranke und schwache Tiere anfalle.
Am anderen Ende des Meinungsspektrums stehen allen voran Vertreter der Land- und insbesondere der Almwirtschaft. Im Almsommer des ver­gangenen Jahres wurden in den Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg mehr Wolfsrisse von Nutztieren als je zuvor verzeichnet. Auf Initiative der Agrarwirtschaft wurden ­daher Anträge auf Entnahme von Problemwölfen bei den Bezirkshauptmannschaften St. Johann im Pongau, Innsbruck-Land, Landeck sowie Kitzbühel gestellt. Den Entnahmeanträgen war kein Erfolg ­beschieden: Die Tiroler Bezirkshauptmannschaften wiesen die Anträge aufgrund einer fehlenden Verordnung zum Tiroler JagdG zurück. Einzig in Salzburg wurde eine Entnahme zunächst genehmigt. Eine Beschwerde des WWF und des Naturschutzbundes vor dem Landesverwaltungs­gericht Salzburg brachte den Bescheid der ­Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau jedoch zu Fall.
Auch die Jagdwirtschaft steht der uneingeschränkten Verbreitung des Wolfes in Österreich mit guten Gründen kritisch gegenüber und fordert rechtliche Rahmen­bedingungen und ein Wolfsmanagement, das die Interessen der Jagd adäquat berück­sichtigt. In der öffentlichen Diskussion kommen jagdwirtschaftliche Aspekte der Wolfs­verbreitung bislang deutlich zu kurz. Während Herdenschutzmaßnahmen aus öffentlichen Mitteln gefördert werden und für gerissene Weidetiere Schadenersatz geleistet wird, bleibt bislang offen, wer für den Mehraufwand und Schaden in der Jagdwirtschaft auf­zukommen hat, der durch die Ver­breitung des Wolfes ­entsteht.

Hilferuf der Jagd

Im Vergleich zu Wolfsrissen von Weide­tieren wurde bisher wenig gerissenes Schalenwild registriert. Verbreitet sich der Wolf, kann sich das rasch ändern. Schließlich zählen zu den Hauptbeute­tieren des Wolfes die in Mitteleuropa vorkommenden Schalenwildarten, wie Rot­wild, Rehwild, Schwarzwild, Gamswild und Muffelwild.
Da Österreich eine der höchsten Schalenwilddichten Europas aufweist, findet der Wolf optimale Bedingungen vor. Das Reißen von Weidetieren in ­signifikanter Zahl, wie es ­zuletzt auf westösterreichischen Almen zu beobachten war, ist vorwiegend ein Ver­halten eingewanderter Einzelwölfe. Sobald Herdenschutzmaßnahmen dem Wolf das Reißen von Weidetieren erheblich erschweren und sich weitere Wolfs­rudel etablieren, wird Schalenwild als Beutetier für den Wolf an Bedeutung ­gewinnen. Direkte Verluste in der Jagdwirtschaft durch Wolfsrisse werden entsprechend zunehmen. „Der Wolf ist ein Opportunist, der bei der Jagd nach Beutetieren den Weg des ­geringsten Widerstandes und der höchsten Effizienz geht“, bringt es Univ.-Prof. Dr. Klaus Hack­länder vom ­Institut für Wildbiologie und Jagd­wirtschaft der Universität für Boden­kultur Wien auf den Punkt.
Schwerer noch als die direkten ­Schäden durch Wolfsrisse wiegen in der Jagdwirtschaft die indirekten Schäden, die allein durch die Anwesenheit von Wölfen im Jagdrevier entstehen. Wölfe beunruhigen das Wild dauerhaft und nachhaltig, wodurch dessen Raum-­Zeit-­Verhalten beeinflusst wird. Jäger in ­Revieren mit Wolfsvorkommen ­be­richten, dass das Wild seither ­über­wiegend nachtaktiv sei und nur mit wesentlich ­höherem Aufwand ­bejagt werden könne. Jagdausübungsberechtigte erleiden somit durch ­sinkende Erlöse aus dem Verkauf von Abschüssen und Wildbret wirtschaftlichen Schaden. Das veränderte Raum­verhalten des Rotwildes kann zudem zu ­erhöhten Schälschäden führen, für die wiederum der Jagdausübungsberechtigte aufkommen muss. Schließlich sind Rotwild-Winterruhezonen und Notzeitfütterungen bei Anwesenheit von Wölfen im Revier nicht in bisheriger Form möglich. Diese müssten mit hohem finanziellem Aufwand vor ­Wölfen geschützt werden.
Für all diese Schäden und Zusatzkosten im Jagd­betrieb ist von öffent­licher Seite keine Kompensation vorgesehen. Ist die Wiederansiedelung des Wolfes in öster­reichischen Wäldern gesellschaftspolitisch gewünscht, muss eine tragbare Lösung für die Kompensation von Schäden gefunden werden. Die Landesjagdverbände haben bereits Anfang 2018 zu den negativen Aus­wirkungen der Verbreitung des Wolfes in Österreich auf die Jagd­wirtschaft Stellung bezogen und entsprechende Forderungen an die Politik formu­liert. Der im Positions­papier auf­gezeigte Handlungsbedarf wird mit zunehmender Verbreitung des Wolfes in Österreich akut.

"Der Wolf ist ein Opportunist, der bei der Jagd nach Beutetieren den Weg des ­geringsten Widerstandes und der höchsten Effizienz geht."
Univ.-Prof. Dr. Klaus Hack­länder

Rechtlicher Schutzstatus

Der Wolf untersteht in Europa be­sonders hohem Artenschutz, der sich in erster ­Linie aus der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) aus dem Jahr 1992 ­ergibt. Der Wolf ist darin als „prioritäre Art“ (Anhang II) und als „streng zu schützende Tierart“ (Anhang IV) ein­gestuft. Die Mitgliedstaaten haben nach der FFH-RL ein strenges Schutz­system einzurichten, das insbesondere die absichtliche Störung, den Fang und die ­Tötung verbietet (Art. 12 FFH-RL). Die FFH-RL fußt auf der Berner Konvention aus dem Jahr 1979 über die Erhaltung der euro­päischen wild lebenden Pflanzen und ­Tiere und ihrer natürlichen Lebens­­räume. Im Kern sehen die Berner Konvention und die FFH-RL ähnliche Maßnahmen des Artenschutzes vor. Ausnahmen vom strengen Artenschutz sieht Art. 16 der FFH-RL nur in ­engen Grenzen vor, etwa zur Verhütung ernster Schäden in der Tierhaltung oder im Interesse der Volks­gesundheit und der öffentlichen Sicherheit. Voraus­setzung ist aber immer, dass es keine ­anderweitig zufriedenstellende Lösung gibt und die Population der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungs­gebiet ohne Beeinträchtigung in einem günstigen ­Erhaltungszustand verweilt.
Die Entnahme eines Wolfes ist nach dem strengen Regime der FFH-RL nur möglich, wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind. Wann genau dies der Fall ist, etwa wann ein ­„günstiger Erhaltungs­zustand“ der Wolfs­population angenommen werden kann, ist im ­Einzelnen unklar. Eine bloß nationale Sicht greift zu kurz: „Aus wild­biologischer Sicht ergibt es keinen Sinn, den Erhaltungszustand einer Wolfspopulation, bezogen auf die ­Grenzen eines bestimmten Staats­gebiets, zu beurteilen. Wölfe halten sich nun ­einmal nicht an Staats­grenzen. Man muss den günstigen Erhaltungs­zustand der Wolfspopulation einer gesamteuropäischen Betrachtungsweise unter­ziehen. Auf dieser Betrachtungsebene kann derzeit in Europa ­insgesamt jedenfalls von einem güns­tigen Erhaltungs­zustand der Wolfs­population ausgegangen werden“, fasst Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer ­zusammen.

NÖ JagdG

Nach § 3 Abs. 1 Z 1 NÖ JagdG ist der Wolf zwar von seinem Geltungsbereich umfasst, wird aber in Absatz 2 der ­vor­genannten Bestimmung als nicht jagd­bares Wild festgelegt. 2018 wurde in das NÖ JagdG der § 100a eingefügt, der Maßnahmen zum Schutz von ­Menschen und zur Abwendung von Schäden durch Wölfe vorsieht. Absatz 2 der Bestimmung sieht vor, dass dem Jagdausübungsberechtigten der behörd­liche Auftrag zur Vergrämung oder zum Abschuss eines Wolfes erteilt ­werden kann, wenn es die Gesundheit oder Sicher­heit der Menschen oder die öffentliche Sicherheit erfordert. Nach ­Absatz 3 können Abwehrmaßnahmen gegen ­Wölfe auch zur Abwendung er­heblicher ­Schäden in Land- und Forstwirtschaft oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden angeordnet werden. Ein Abschuss ist im Gesetz aber in jedem Fall ausdrücklich nur als letztes Mittel vorgesehen.
Die NÖ Landesregierung hat zu § 100a NÖ JagdG eine Verordnung er­lassen, die genauer festlegt, bei welchen Verhaltensweisen eines Wolfes dessen Vergrämung oder Abschuss angeordnet werden kann. Ein „proble­matisches Verhalten“ eines Wolfes, das seinen ­Abschuss rechtfertigt, besteht nach der Verordnung etwa darin, dass der Wolf Menschen trotz Vertreibungs­versuchen folgt oder ein Wolf mindestens zweimal sachgerechten Nutztierschutz überwindet und darin ­gehaltene Nutztiere tötet.

Klage für Gleichberechtigung?

Nach geltendem Recht hat Österreich praktisch keinen Spielraum zur Um­setzung eines geeigneten Wolfs­manage­ments. Die Entnahme von einzelnen Problemwölfen ist unter den engen (EU-)gesetzlichen Voraus­setzungen in der Praxis nicht umsetz­bar und als ­Instrument für ein Wolfsmanagement bei deutlich steigendem Wolfsbestand ungeeignet.
Als Österreich 1983 der Berner ­Konvention beigetreten ist und auch noch 1995 bei Einführung der FFH-Richtlinie im Zuge des Beitritts Österreichs zur EU, gab es hierzulande ­praktisch keine ­Wölfe. Um einem ­starken Anstieg des Wolfs­bestandes in Österreich gerecht zu werden,
muss der absolute Schutzstatus des ­­Wolfes überdacht und zu einem Wolfs­management übergegangen werden, das eine Bestandesregulierung auf ein in der österreichischen Kulturlandschaft ökologisch und ökonomisch verträg­liches Ausmaß erlaubt. Dazu bedürfte es jedoch einer entsprechenden An­passung der Berner Konvention und der FFH-RL, wozu enormer politischer Wille notwendig ist.
Der Leidensdruck ist aber offenbar noch nicht groß genug. Politischen Vorstößen, etwa von Seiten der Agrar­wirtschaft, den strengen Schutzstatus des Wolfes aufzuweichen, hat sowohl die EU-Kommission als auch das öster­reichische Umwelt­ministerium bislang eine deut­liche Ab­sage erteilt.
Medienberichten zufolge erwägt das Land Tirol eine Klage vor dem EuGH zur Erlangung einer Gleich­behandlung Österreichs gegenüber anderen Staaten, wie Finnland, Polen und Griechenland, in denen der Schutz­status des Wolfes ­geringer sei. Dazu soll das Land Tirol ein ­Rechtsgutachten zum Schutzstatus des Wolfes unter der FFH-RL in ­Auftrag ­gegeben ­haben.
Es bleibt abzuwarten, ob darin ­juristisch stichhaltige Argumente ent­wickelt werden können, die zum ­gewünschten Ziel führen. Mit einer ­Änderung der FFH-Richtlinie und damit des ­Status quo zum Wolfs­management in ­Österreich kann in absehbarer Zeit aber wohl nicht ­gerechnet werden.