Jagd auf die Murmelen
Die Jagdsaison auf Alpenmurmeltiere startet in Tirol Mitte August. Gleich das erste Wochenende nutzte das WEIDWERK vergangenes Jahr, um bei einer Bergjagd im Sellraintal, etwa 20 Minuten außerhalb von Innsbruck, dabei zu sein. – 1. Teil: die Jagd.
Alpenmurmeltiere werden in Tirol vom 15. 8. bis 30. 9. bejagt, und gleich am ersten Tag der Murmelsaison begaben wir uns letztes Jahr ins Sellraintal, Bezirk Innsbruck-Land. Mission: Murmeljagd!
Wir sind mit der Tirolerin Barbara Hoflacher verabredet. Als Autorin, Ernährungstrainerin und allen voran leidenschaftliche Murmeljägerin beschäftigt sie sich bereits seit mehr als einem Jahrzehnt mit der Verwertung von Wildtierfetten.
Uns steht ein Jagdtag in einem Bergrevier bevor. So Diana uns hold ist, werden zwei Jägerinnen je ein Murmeltier erlegen. Neben der Art und Weise, auf Murmeltiere zu weidwerken, steht die Vollverwertung der Nager im Fokus unseres Interesses. Vom Aufbrechen bis hin zur kulinarischen Verwertung des Wildbrets und der Innereien wollen wir herausfinden, welche Naturprodukte Barbara aus Murmelfett erzeugt, und welche Trophäen aus Schwartl und Nagern hergestellt werden können.
Jagdtag im Gleirschtal
Murmeltiere sind tagaktiv; unser Jagdtag startet um sieben Uhr Früh. Die Schützinnen des heutigen Tages, Barbara Hoflacher und Kürschnerin Erika Roehr, tragen Fellwesten aus vorangegangenen Murmeltierjagden; Erika fertigte die Westen in liebevoller Handarbeit. Wo kein Fell ist, ist Loden, die Knöpfe bestehen aus Hirschhorn. Ein erster Vorgeschmack, wie vielfältig und kreativ die „Murmelen“, wie die Tirolerinnen sie liebevoll nennen, verwertet werden.
An der vereinbarten Jagdhütte treffen wir Christian Schwaiger. Der Hegemeister des Sellraintals kümmert sich um nicht weniger als 25.000 ha Fläche, aufgeteilt auf 13 Reviere. Für unsere Bergjagd nimmt er sich den ganzen Tag Zeit. Wir werden in einem 2.700 ha umfassenden Revier im Gleirschtal unterwegs sein, einem etwa 8 km langen Seitental des Sellraintals, in den Stubaier Alpen. In Tirol unterliegen Murmeltiere einem Abschussplan, etwa 4.000 Stück werden pro Jahr in diesem Bundesland erlegt, weiß der Hegemeister. Auf das Gleirschtal entfallen jährlich etwa 15–20 Murmeltiere.
Als auch Hannes, einer der Jäger im Gleirschtal, mit seiner Tiroler Bracke Max eintrifft, sind wir vollzählig. Auf einer stetig schmaler werdenden Straße nähern wir uns dem Revier. Bevor es zu Fuß taleinwärts geht, ist es Zeit für einen Probeschuss. Zwar sind beide Jägerinnen mit ihren eigenen Büchsen, im Kaliber .222Rem. bzw. .223Rem. ausgerüstet, dennoch seien Probeschüsse für alle eine Selbstverständlichkeit, so Barbara. Und: „Sehr viel Spielraum hat man schließlich nicht, um einem Murmeltier einen weidgerechten Schuss ins Leben anzutragen.“ Ein etwa 5 cm² kleiner Bereich auf dem Rumpf des gedrungenen Körpers, unterhalb des Köpfls zwischen den Vorderbranten, muss getroffen werden, damit das Murmeltier im Feuer liegt und nicht in den Bau einschlieft. Selbstverständlich ist auf einen Kugelfang zu achten. Die Probeschüsse erfolgen liegend auf eine 100 m entfernte Zielscheibe, ein Rucksack dient als stabile Auflage.
„Wir haben Glück“, meint Christian. Nach einigen sehr wechselhaften Tagen sei heute der erste schöne Tag. Es ist 8Uhr, und es hat frische 8°C, etwa 10°C mehr werden es zur Tagesmitte sein. Bevor die Sonne es über die Bergkuppen schafft, marschieren wir den Gleirschbach entlang taleinwärts. Zu zweit nebeneinander, dann hintereinander; wie es das Gelände erfordert. Jeder von uns ist mit Rucksack, Kopfbedeckung, Fernglas und haselnussernem Bergstock ausgestattet. Barbara und Erika haben Plastikbeutel für das kostbare Murmelfett und die Innereien im Gepäck. Die Murmeltiere werden direkt auf dem Berg innerhalb von zwanzig Minuten nach dem Schuss aufgebrochen, um ein Verhitzen des Wildkörpers zu verhindern; das wichtigste Kriterium für die spätere Genusstauglichkeit des Wildbrets. – Und absolut entscheidend, wenn man das Fett weiterverarbeiten möchte!
Neun Zehntel im Bau
Handyempfang haben wir schon lange nicht mehr. Wir starten bei etwa 1.700 m und werden etliche Höhenmeter, bis zum höchsten Punkt auf 2.400 m, zurücklegen. Rings um uns erstreckt sich die steinerne Landschaft, ein Meer aus Felsen und kleinerem und größerem Gestein.
„Touristenmurmel gibt’s bei uns übrigens keine“, so Christian, „ein Murmel muss man sich verdienen.“ – Im Gleirschtal seien Murmeltiere nicht an Menschen gewöhnt. Zwar treffe man vereinzelt auf Wanderer, doch die Tiere seien vorsichtig und scheu. Sie zu bejagen, sei eine Herausforderung. „Murmel verbringen neun Zehntel ihres Lebens im Bau“, erklärt Christian. Die saftige Äsung und die wärmenden Sonnenstrahlen locken die Nager aber aus ihren meterlangen Bauen.
Christian und Barbara stützen ihre Ferngläser auf den Birschstöcken auf. Wir tun es ihnen gleich und glasen das Gelände ab. „Siehst du, wie sie balgen?“, zeigt Barbara auf den etwa 150 m entfernten Gegenhang. Im ersten Moment ist nichts auszumachen. Dank ihrer Beschreibung – „Siehst du den großen Stein? Links davon auf halb drei, bei dem großen Stein sind zwei Affen!“ – sehen wir die Jungtiere. Sie nehmen uns nicht wahr; wir sind ganz ruhig, und sie mit sich selbst beschäftigt. „Baue mit Affen werden bei uns übrigens nicht beschossen“, erklärt Christian. „Jungtiere brauchen, um ihren ersten Winter zu überstehen, die Körperwärme adulter Tiere.“ Christian ist mehrmals pro Woche im Revier unterwegs, er kennt einige Baue, die für die heutige Jagd infrage kommen. Grundsätzlich gilt: Neben Jungtieren und der erkennbar dazugehörigen Katze ist der stärkste Murmel am Bau zu schonen, da dieser im Winter die entscheidende Wärmequelle für die geringeren Murmel im Bau ist und damit das Überleben aller im Bau befindlicher Murmel sichert. Und: Aus einer Gruppe von fünf erwachsenen Tieren wird nicht mehr als ein Stück erlegt.
„Da, der dort drüben würde passen!“, meint Christian, abermals auf den Gegenhang zeigend. Nach kurzer Absprache entscheiden sich sowohl Erika als auch Barbara gegen einen Schuss. Es ist etwa 10 Uhr vormittags. Wenn jetzt ein Murmeltier erlegt würde, müsste man es den ganzen Tag mittragen. Bis zur Mittagszeit sehen wir kein Murmel mehr. Kurz flammen bei den Schützinnen Zweifel auf. Hätten sie die Chance doch ergreifen sollen?
Erfolgreiche Mittagsbirsch
An zwei markanten Felsen schlägt Christian eine Mittagspause vor. „Wenn wir uns nicht allzu viel bewegen und ruhig sind, wird’s nicht lange dauern, bis sich wo ein Murmel zeigt“, meint er. Um nicht wie „Statuen“ aus der Landschaft emporzuragen, gibt Hannes den Hinweis, sich gebückt zu bewegen. „Wisst ihr übrigens, wie man das Alter eines Murmels in etwa bestimmen kann?“, fragt Barbara, und erklärt: „Ab einem Alter von drei Jahren ist das Köpfl der Murmel vorne weiß und breit; spitz bedeutet jung!“ Christian glast noch einmal die Umgebung ab. Tatsächlich! „Das ist gut, das birschen wir an!“, ist er entschlossen. Auf einem Steinplateau auf der anderen Seite des Baches sonnt sich ein stattliches Murmeltier. „Auf gut 140m, nahe des Baches, ist ein etwas größerer Stein. Darauf liegt das Murmel. Siehst du es?“, richtet er die Frage an Erika, die seiner Beschreibung, durch das Fernglas blickend, folgt. In der sicheren Deckung unseres Rastplatzes beobachten wir die beiden. Auf der anderen Seite unserer Felsbrocken entdecken Barbara und Hannes indes ein großes, einzelnes Murmeltier, das passen könnte, meinen die Tiroler. Aber Christian ist nicht da, um es als Birschführer freizugeben, also bleibt der Finger gerade!
„Ich habe alle meine Murmel zwischen vierzig und hundert Metern erlegt. Es bedarf oft ein wenig Geduld, aber sich bis auf unter hundert Meter anzubirschen, ist immer möglich!“, spricht Barbara aus Erfahrung.
Da bricht der Schuss. – War Erika erfolgreich? Ja! Sie trägt die Büchse, Christian das Murmel. Der Erlegerin überreicht der Birschführer einen Zweig Almrausch. „Als Bruch nimmt man hier meist Almrausch. Gebräuchlich sind in den hohen Regionen auch Heidekraut, Wacholder, Latsche und Zirbe. Das, was am nächsten zum Murmel ist“, erklärt Barbara. Aufgebrochen wird an Ort und Stelle. Das Murmel liegt auf dem Rücken, Erika setzt einen Schnitt mittig von den Hintenläufen bis hinauf zu den Vorderbranten, die Bauchhöhle ist nun geöffnet. Mit Bedacht entfernt Barbara das Bauchfett zum späteren „Auslassen“. Das Fett sammelt sie, getrennt von den Innereien, in einem sauberen Plastikbeutel. Murmeltiere haben eine Gallenblase, die vorsichtig entfernt werden muss. Die Leber ist, im Vergleich zur geringen Körpergröße des Murmeltieres, überraschend groß und bedeckt Barbaras ausgestreckten Handteller.
Sorgfalt ist bei der fachgerechten Entfernung des Darms geboten. Barbara weist uns auf weiße, nur einige Millimeter kurze „Striche“ hin. „Das sind Bandwürmer“, weiß sie. Ein Gros der Murmeltiere sei davon befallen, jedoch befänden sich diese Parasiten ausschließlich im Darmtrakt. Das Gescheide werde beim Aufbrechen vollständig entfernt, womit die Genusstauglichkeit des Murmels garantiert sei, führt sie aus.
Den Magen entnimmt Barbara der Leibeshöhle und setzt einen Längsschnitt. Sie klappt ihn auf, frische Bergkräuter als Äsung sorgen für die grasgrüne Farbe des Mageninhalts – und lässt uns am Inhalt riechen. „Traut euch! Das riecht wie ein Teebeutel!“ Nach anfänglicher Skepsis können wir das bestätigen. Wahrlich, als würde man seine Nase in einen Kräuterteebeutel stecken! Als Nächstes fordert sie uns zur Geruchsprobe an der offenen Leibeshöhle auf. Diese rieche nämlich nach ... nichts. Mit einer olfaktorischen Erwartung an ein aufgebrochenes Stück Reh- oder Schwarzwild, wagen wir zaghaft ein Näschen voll. Und noch eines! Denn, es riecht nach nichts. Absolut neutral.
Den Aufbruch lassen wir bei den Felsen liegen, Adler und Fuchs würden sich, als natürliche Feinde der Alpenmurmeltiere, freuen, so Barbara. „Wisst ihr übrigens, wie man erkennt, ob man eine Murmelkatze oder einen -bären vor sich hat?“, fragt sie. Am lebenden Stück sei eine Unterscheidung beinahe unmöglich. Im erlegten Zustand lasse sich aber anhand des Abstands von Genital- und Analloch eine Unterscheidung erzielen: Bei einer Murmelkatze sei ein Fingerbreit Platz zwischen den beiden Körperöffnungen, beim Bären dagegen zwei bis drei Fingerbreit.
Die Vorder- und Hinterbranten bindet Barbara jeweils mit Spagat zusammen, ein hohler Holunderast in der Mitte dient als Griff. So entsteht ein „Handtaschl“, mithilfe dessen sich das Murmel bequem tragen lässt.
Vorsicht ist geboten!
Barbaras Murmel noch, dann wäre das Tagesziel erreicht. Wir begeben uns einige Höhenmeter aufwärts und gelangen zu einem großen, weiten Steinfeld. Anders als am Vormittag, als wir uns auf gewachsener Erde und Gras bewegt haben, muss hier jeder Schritt mit äußerster Sorgfalt gesetzt werden. Feste Bergschuhe mit einer unnachgiebigen Sohle erleichtern das Balancieren auf dem Gestein. „Siehst du das Murmel geradeaus?“, raunt Christian in Barbaras Richtung und gibt uns mit einem Handzeichen zu verstehen, uns niederzutun. „Auf gut 100m, bei dem dreieckigen Stein neben den Disteln.“ Barbara hat den Punkt innerhalb weniger Wimpernschläge erfasst. Flink birscht sie sich auf etwa 80m an, die anderen legen sich im Hintergrund ebenfalls flach auf den Boden. Jetzt nur keine Aufmerksamkeit erregen! Bevor ich das Murmel wieder ins Glas bekomme, bricht der Schuss. In dem Meer von Steinen weiß die erfahrene Bergjägerin genau, wo das Murmel zu bergen ist.
Mit den beiden Murmelkatzen, den Beuteln voll kostbarem Fett und den Innereien wandern wir zurück. Die Jagd ist getan, der Tag ist aber noch lange nicht vorbei: Im Tal erwarten uns das Abbalgen, Murmelfettprodukte, Trophäen aus Schwartl und Nagern, und – worauf wir schon lange Zähne haben – ein alpenländisches Festmahl aus Murmelleber, -herz und geschmortem Murmelwildbret!
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