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„Hand-Werk“ Jagd 

28. Februar 2023 -
„Hand-Werk“ Jagd - © Martin Grasberger
© Martin Grasberger

Die Jagd ist nicht nur facettenreich, sondern stellt auch ein vielschichtiges Handwerk dar: vom Hochstandbau über das Optimieren von Lebensräumen bis hin zum Zerwirken. – Teil 3: Beobachten und Lernen.

Anna hat ihre erste Sau erlegt. Sie hat bereits vor dem ersten Ansitz viel mit ihrem Freund über die Jagd auf Schwarzwild diskutiert. Jetzt, im März, müsse sie besonders vorsichtig sein, hat er sie mehrmals sensibilisiert. Die Wahrschein­lichkeit, dass eine einzelne, ­führende Bache komme, sei jetzt besonders groß. Diese Sauen suchen sich nun Futterstellen, die sie schnell und auf kurzem Wege erreichen können. Dazu zählen auch die ihnen bekannten Kirrungen. Dann kehren sie wieder zu ihren Frischlingen zurück, um diese zu ­säugen und zu betreuen.

Sauen wechseln an

Bereits früh am Abend wechseln drei gleich große Sauen an. Anna hat sich die Stücke lang mit dem Fernglas und der Wärmebildkamera angesehen und entscheidet, als sie sicher ist, ­keinen Fehler machen zu können, eine davon zu erlegen. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, schiebt sie die Büchse auf die Brüstung.
Der bereits lange vorher unter­gelegte Wetterfleck verhindert dabei unnötige Geräusche. Oftmals hat sie mit ihrem „Lehrprinzen“ Gerhard das lautlose Spannen des Repetierers geübt, quasi als Trockentraining. Das hat sich gelohnt – auch heute schiebt der Daumen den Spannschieber kräftig, aber lautlos nach vorn. Hubertus sei Dank, kein verräterisches Geräusch dringt nach draußen.
Jetzt nur noch warten, bis eine der Sauen breit steht; zu unruhig ist das Geschehen an der Kirrung. Der Zeigefinger der rechten Hand ist noch ausgestreckt, der Leuchtpunkt sucht seinen Weg auf das Blatt, und als die Sau ruhig und breit steht, krümmt sich der Finger. Der schallgedämpfte Schuss peitscht durch den Wald, und Augenblicke später kehrt wieder Ruhe ein. Anna wechselt zur Wärmebildkamera und sieht, dass das beschossene Stück im Feuer verendet ist.

Frischzeit

Im März und April frischen die Schwarzkittel – wenn deren Sozialstruktur ­intakt ist. In der Regel ist es so, dass die alten oder mehrjährigen Bachen in diesen Monaten Nachwuchs zur Welt bringen, Frischlings- und Über­läufer­bachen sind hingegen einige Wochen später dran. Heute ist es vielerorts so, dass man zu jeder Jahreszeit gestreifte Frischlinge antreffen kann. Die Tragzeit des Schwarzwildes kann man sich leicht merken: drei Monate, drei Wochen und drei Tage – also 3-3-3.
Die Bachen sondern sich für gewöhn­lich kurz vor dem Frischen von der Rotte ab und halten sich etwa vierzehn Tage lang mit ihren kleinen Frischlingen im und in der Nähe des Kessels auf. Nur für kurze Zeit ver­lassen sie diesen zur Fraßaufnahme. Etwa eine Woche nach der Geburt ­folgen die Jungen der Bache.

Vagabunden

Die etwa 30–40 kg schweren Frischlinge aus dem Vorjahr sind in dieser Zeit auf sich allein gestellt und vagabundieren auf den ihnen bekannten Wechseln und Plätzen im Revier umher. Sie sind braun, haben einen kleinen Pürzel und einen kurzen Wurf. Auch wirken sie lange nicht so groß oder „bullig“ wie ihre ausgewachsenen Artgenossen. Nach der „Auszeit“ ihrer Mutterbache kann man sie wieder gemeinsam mit der Rotte beobachten.
Manche Rottenmitglieder, häufig Frischlingskeiler, später dann Über­läuferkeiler, werden vom Rottenverband ausgestoßen. Sie tauchen allein oder in kleinen Trupps bei den Kirrungen auf und lassen sich ob ihrer Unerfahrenheit und Führungslosigkeit in der Regel einfach bejagen.

Beobachten

Wildkameras können in dieser Zeit als zusätzliche Ansprechhilfe der nächt­lichen Besucher verwendet werden. Beim Auswerten der „brauchbaren“ Fotos können Keiler und Bachen normalerweise gut voneinander unterschieden werden. Dabei gilt der Blick stets der Bauchunterseite. Haben die Sauen einen Pinsel – ja oder nein? Bei idealer Bildqualität und Stellung des Stückes ­können auch die Steine, die Bauchleiste oder das Gesäuge von Bachen erkannt werden und zur korrekten Ansprache dienlich sein. Selbstverständlich können beim Ansitz auch andere Stücke als die an der Wild­kamera erschauten Tiere auftauchen. Daher muss jedes einzelne Stück vor seiner Erlegung ­gewissenhaft aufs Neue – am besten auch mit einer Wärmebildkamera – ­angesprochen werden.

Nachtzielhilfen

Die Möglichkeit, Sauen bei Tageslicht bejagen zu können, ist in den meisten Revieren nicht (mehr) vorhanden, daher ist in diesem Fall der Einsatz „technischer Krücken“, also Nachtzielhilfen, klar von Vorteil. Der Einsatz von Zielhilfen mit Wärmebild- oder Nachtsichttechnik ist gerade hinsichtlich der Weidgerechtigkeit und in ­weiterer Folge des Tierschutzes bei der Frühjahrsbejagung des Schwarz­wildes nur zu begrüßen.
Wildkameras „beleuchten“ nur einen sehr eingeschränkten Teil einer Beobachtungszone, geschweige denn das gesamte Schwarzwildrevier. Zeigen sie aber die Aufnahme einer frisch versuhlten Sau, kann davon ausgegangen werden, dass sich die schlammige Wasser­stelle in unmittelbarer Um­gebung des Beobachtungspunkts be­findet. Also hilft hier die Technik zwar, über das jagd­liche Handwerk muss der Jäger aber dennoch verfügen.

Technik oder Erfahrung?

Gerade hier gilt das Motto „Gehe mit offenen Augen durchs Revier“. Damit erkennt, sieht und versteht man auch, in welchen Schlammbädern sich die Sauen suhlen und welche revier- und jagdstrategischen Schlüsse man eventuell daraus ziehen kann.
Das Ausneuen bei Schnee, das ­Abfährten im Schlamm bzw. auf nassem Boden, aber auch die Nachsuche mit einem fermen Jagdhund sind gerade bei der Saujagd unumgängliche und unverzichtbare handwerkliche Fähigkeiten des Jägers und seines vier­beinigen Begleiters. Kein technisches Instrument kann eine Sau stellen, nieder­ziehen oder abfangen – zumindest noch nicht. Daher muss dies, will man erfolgreich und sicher auf Sauen jagen oder nachsuchen, vorab vom Jagd­ausübenden gesehen, gelernt und geübt werden.
Der Wind kann geprüft oder ­technisch abgelesen werden. Auch ­zukünftige Wetterströmungen, Hoch- und Tiefdruck werden in die Saujagd eingebunden. Mittlerweile könnte man Wärmebildkameras als „sauhell“, Wärme­bilddrohnen als „sauklar“ und die ­Ausrüstungsgegenstände zur Saujagd als „saugut“ bezeichnen. Wenngleich nicht jedes Saulockmittel den gewünschten Erfolg bringt und manche Sau von einer neu aufgetragenen und befremdlich riechenden Paste ­vertrieben worden ist.

Sauwetter

Anna und Gerhard sind wieder einmal – diesmal nachts – im Revier unterwegs. Unsere Jägerin begleitet ihren Freund im Feldteil des Reviers; die Schwarzkittel haben ein Wiesenstück regelrecht umgepflügt, und nicht nur der Rasen ist aufgewühlt, sondern auch der Grundeigentümer. Es regnet leicht, doch es ist beinahe windstill – bestes Sauwetter also!
Bevor die beiden Feld- und Wiesenflächen betreten, prüfen sie den Wind und richten ihren nächtlichen Birschgang und die Anbirschrichtung am Wind aus. Mit den anderen Mit­jagenden ist im Vorfeld schon klar ­abgesprochen worden, dass heute ­niemand im Feld ansitzt, damit es zu keiner unglücklichen Verwechslung und in weiterer Folge zu keinem Jagdunfall kommen kann. Schritt für Schritt birschen sich Anna und Gerhard vorsichtig auf die Fläche und glasen mit der Wärmebildkamera die Wiesen ab. Sie sehen mehrere Hasen, einen Fuchs, einige Rehe – und haben bereits Übung beim Ansprechen durch das Wärmebildgerät. Weit verstreut äst das Schalenwild jetzt nach den Winter­monaten gierig das aufkeimende Grün.
Plötzlich stehen zwei Sauen am Waldrand und brechen. Langsam, Meter für Meter, birschen die beiden näher. Immer mit einem Blick auf die Seite, um auch die anderen Wildtiere nicht aus den Augen zu verlieren. Denn springen die Rehe ab, sind auch die Sauen dahin. Spätestens, wenn das Rehwild alarmiert ist und schreckt, ist die Chance dahin.
Zudem können andere Wildtiere auf der Bühne der Birschjäger er­scheinen und eine Situation in Sekundenbruchteilen um 180° drehen. Auch bei der Erkundung des Bodens, auf dem die beiden birschen, hilft das Wärmebildgerät: Unebenheiten, Äste oder andere Hindernisse werden erkannt und umgangen.
Die Sauen merken noch nichts von der Gefahr, sie kommen den Jägern sogar entgegen, stehen konzentriert im Gebräch und fühlen sich sicher. Langsam stellt Gerhard seinen vier­beinigen Schießstock in Position und legt die Büchse darauf. Nochmals ­kontrolliert er mit dem Wärmebild­vorsatzgerät den Kugelfang, zielt und schießt. Nur noch ein Schwarzkittel sucht den Waldrand auf und verschwindet darin.
Das Bergen des erlegten Frischlingskeilers, die Darreichung des Letzten Bissens und die Übergabe des Erlegerbruchs, das Aufbrechen zu Hause, das Abschwarten, Zerwirken und Verarbeiten zu schmackhaften Wildprodukten braucht – trotz aller technischen Errungenschaften – letztlich immer das Handwerk Jagd.

„Hand-Werk“ Jagd - © Fritz Wolf
© Fritz Wolf
„Hand-Werk“ Jagd - © Fritz Wolf
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