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Kulturschatz Jagd

28. März 2023 -
Kulturschatz Jagd - © Barbara Marko
© Barbara Marko

Jagd ist mehr als Beruf, Ausbildung oder Praxis. Die Jagd ist ein Kulturgut, und dieses muss genau wie das Brauchtum gepflegt werden, um es mit Leben zu füllen. – Ein Reviergang der besonderen Art.

Mit der Jagdprüfung ist der Grundstein für unser späteres Jäger­leben gelegt. Aber das in der Theorie Erlernte im Anschluss auch in die Praxis umzusetzen, ist nicht ­einfach. Neben Revierarbeiten, dem richtigen Ansprechen, dem weidgerechten Schuss sowie dem Verarbeiten des wertvollen Wildbrets gibt es noch zahlreiche ­Bräuche, die gepflegt und gelebt ­werden wollen. Um vollends in die Jagdkultur mit all ihren Traditionen und Bräuchen einzutauchen und Teil dieser Kultur zu werden, benötigt es häufig die ­Führung eines erfahrenen Weid­kameraden oder die Aufnahme in eine Jagdgemeinschaft, die diese Werte hochhält und weitergibt. Denn nur wenn wir die Jagd leben, Teil von ihr werden und sie als ­Kultur pflegen, können wir in der ­Öffentlichkeit bzw. im Kreis der nicht jagenden ­Bevölkerung positiv auf­treten.

Geballtes Wissen

Absolviert man die Jagdprüfung in der Jägerschule des Niederösterreichischen Jagdverbandes, wird einem das große Glück zuteil, einen Reviertag mit Ob.-Fö. Ing. Rudolf Hafellner sen. sowie AR DI (FH) Rudolf Hafellner jun. zu genießen. Wir haben uns mit Vater und Sohn zu einem solchen Reviertag getroffen, um über Brauchtum, Ver­änderungen im Jagdalltag und der Jagd­kultur zu sprechen.
Zu Beginn eines jeden Reviertages erklären die beiden Jagdprofis die ­Bedeutung der verschiedenen Brüche, auch jener, die heute nicht mehr ­gebräuchlich sind. Rudolf Hafellner sen. erklärt: „Bruchzeichen sind in der Jagd eine traditionelle Form der Nachrichtenübermittlung. Mithilfe der verschiedenen Bruchzeichen können sich Jäger untereinander einfache Informationen zukommen lassen. Bruchzeichen sind ebenso wie viele andere Formen des Jagdlichen Brauchtums regional unterschiedlich entstanden und erhalten ­geblieben.“
Tatsächlich kommen heute nur noch wenige dieser Brüche zum Einsatz. So kennen die meisten Jäger noch den Beute-, den Standes-, den Anschuss- und den Sammelplatzbruch sowie den Letzten Bissen. Dabei gibt es hier so viel mehr zu wissen! Aber wieso sollte man dann Brüche kennen, die mittlerweile nicht mehr genutzt werden, möchten wir wissen. Rudolf Hafellner jun. klärt auf: „Umfangreiches Wissen hat noch niemandem geschadet. Wir denken, dass traditionelle Verhaltensweisen vor allem im Jagdbetrieb Teil eines Kulturschatzes sind und ähnlich alten Musikstücken oder Dichtungen ­erhalten werden sollten. Vor allem Öster­reich ist ein Jagdland, in dem ­Traditionen und Brauchtum eine sehr große Rolle ­spielen. Aus meiner Sicht gehören all diese Dinge zu einem ­‚jagdlichen Allgemeinwissen‘ unbedingt dazu.“
Während unseres Weges durch das Lehrrevier – wir sehen uns verschiedene Brucharten, Reviereinrichtungen, Salzlecken und Niederwildtränken an – ­erzählen die erfahrenen Grünröcke, wie wichtig es ist, diese Jagdkultur in unseren Alltag zu integrieren und ­auszuführen, auch wenn uns dabei ­niemand zusieht. „Beutebruch und Letzter Bissen sollen als Ehrerbietung und Respekt gegenüber dem erlegten Lebewesen getragen bzw. gegeben ­werden. Da dieser respektvolle Umgang mit dem Lebewesen im Rahmen einer entsprechenden Jagdkultur wesentlich ist, soll auch die Pflege dieses Brauchtums unbedingt einen Platz finden. Auch wenn ich die Jagd allein ausübe, gebührt dem erlegten Stück Respekt und eine gewisse Ehrerbietung. Richtig, Respekt gebührt dem erlegten Wild und nicht dem Publikum!“

Kulturgut Jagd

In unserer schnelllebigen Zeit wird es zunehmend schwierig, „Jagdkultur“ zu leben. Vieles bleibt aus Zeitmangel auf der Strecke. Wir müssen Revier­einrichtungen errichten und pflegen sowie unsere Abschusspläne erfüllen, da bleibt kaum Zeit, um sich mit Brauchtum zu beschäftigen. Wieso ist es also so wichtig, dass wir uns Zeit dafür nehmen?
„Jagdliches Brauchtum ist Teil der Jagdkultur und umfasst sehr viele ­Bereiche der Jagd. Sämtliche traditionelle Verhaltensweisen und Gepflogenheiten im Jagdwesen umschreiben das jagdliche Brauchtum. Der große Rahmen an Weidgerechtigkeit gehört genauso dazu wie die Jägersprache, Bruchwesen, jagdliche Bekleidung, Jagdmusik (Jagdhorn, Jägerlieder, Wildererlieder usw.), Literatur, bildende Kunst, Verhalten gegenüber dem erlegten Wild, aber auch kulinarische Genüsse“, so Hafellner jun. Erst wenn uns klar ist, dass wir hier Kultur zelebrieren, können wir diese auch pflegen und somit für weitere ­Generationen konservieren.

Entwicklung

Während wir unsere Runde durchs Lehrrevier weiterführen und an einer Niederwildfütterung haltmachen, erzählt uns der Junior, woher das jagd­liche Brauchtum, wie wir es kennen, eigentlich stammt: „Unser heutiges jagdliches Brauchtum ist in den meisten Bereichen gar nicht so alt, wie man vermuten möchte. Viele Verhaltens­weisen, die heute als ‚traditionell‘ gelten und als ‚uraltes Brauchtum‘ gepflegt werden, stammen tatsächlich aus der NS-Zeit. Damals bekam Walter Frevert den Auftrag, das ‚Deutsche jagdliche Brauchtum‘ zusammenzustellen, um es für das gesamte Deutsche Reich vor­zuschreiben. Herr Frevert stöberte die vorhandene alte Literatur durch, wurde aber nur sehr eingeschränkt fündig. Also fasste er sein gesammeltes Wissen über die Verhaltensweisen der Jäger zusammen, und im Anschluss wurden sie als Standard im Deutschen Reich vereinheitlicht und werden seither in Mitteleuropa als Brauchtum gelebt.“

Fallen

Wer jetzt denkt, bei unserem Reviergang gehe es „nur“ um Brauchtum, der irrt. Neben Brüchen, Reviereinrichtungen und Niederwildhege lernt man im Lehrrevier auch den Kugelfang ein­zuschätzen oder allerhand Wissens­wertes über die Lenkung von Rotwild – angefangen bei der Fütterung über das artgerechte Wildfutter bis hin zur Bejagung. Aber auch das Thema Fallenjagd kommt nicht zu kurz. Vater und Sohn führen im Lehrrevier auch einige Fallen vor, erklären, wie sie funktionieren und lassen ihre Schüler raten, für welche Wildart sie gedacht sind. Auch mittlerweile verbotene ­Fallen werden gezeigt, um anschaulich zu ­machen, warum diese nicht tierschutzkonform sind.
Rudolf Hafellner sen. erklärt: „Die Fallenjagd ist in vielen Bereichen, vor allem aus Tierschutzgründen, bereits überholt. Ein aus meiner Sicht sicherlich richtiger Weg ist das zu Recht ­geltende Verbot von tötenden oder tierquälerischen Fallen bzw. Fang­methoden. Der Lebendfang ist in vielen Bereichen allerdings eine wichtige ­Ergänzung zu herkömmlichen Jagd­methoden. Auch bei der Fallenjagd hat sich einiges zum Positiven verändert.“
Wir sehen uns die Fallen genauer an. „Während die ursprüngliche Jagd mit Fallen wegen tierquälerischen Fang­methoden und Fallentypen alles andere als tierschutzgerecht war, nimmt eine moderne Fallenjagd auf all diese ­Forderungen Rücksicht. Wir zeigen in der Jungjägerausbildung teilweise auch noch alte Fallentypen (Tellereisen, Habichtsfang usw.) als Negativbeispiele, um besser erklären zu können, was ­unbedingt vermieden werden muss
und worauf bei einer modernen, tierschutzgerechten Fallenjagd zu achten ist. Mit einer modernen, den aktuellen Vorschriften entsprechenden Fallenjagd mit innovativen Fanggeräten und einer fundierten Ausbildung ist eine tierschutzgerechte Fallenjagd jedenfalls möglich und zu gewährleisten. Dem Jäger steht dort, wo Raub- oder Schwarz­wildreduktionsmaßnahmen notwendig sind, eine wertvolle Ergänzung zu herkömmlichen Jagdmethoden zur Ver­fügung“, ergänzt Hafellner jun.

Kulturschatz Jagd - © Barbara Marko
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Stetig ist die Veränderung

Aber nicht nur bei der Fallenjagd gab es immense Entwicklungen, auch während der Jägerleben von Familie Hafellner hat sich einiges getan: „Die Jagd hat sich während meines bzw. ­unseres Jägerlebens grundsätzlich verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Nahrungserwerb das wesentliche Ziel der Jagd. Später, in den 1960er- und 1970er-Jahren trat das, so habe ich die Zeit erlebt, zunehmend in den Hintergrund. Niederwildjagden waren damals in den Händen der Bauern­schaft, später kamen immer mehr Pächter dazu, die relativ wenig Bezug zur Boden­bewirtschaftung hatten. Die Schalenwildjagden, vornehmlich der Kahlwildabschuss in den Waldgebieten, wurden in erster Linie durch das ­Forstpersonal durchgeführt. Auch die Funktionäre (Hegeringleiter, Bezirksjägermeister usw.) rekrutierten sich großteils aus den Reihen des Forst­personals. Der Vorteil war, dass dieser Personenkreis jederzeit verfügbar war und die Lösung eines akuten Problems schnellstmöglich in Angriff genommen werden konnte. Darüber hinaus verfügte man über eine fundierte Berufsausbildung, die weit über die Jagd­ausbildung (Jungjäger und Aufsichtsjäger) hinausging, ebenso konnte auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgegriffen werden“, blickt Hafellner sen. zurück.
Weiters erzählt der erfahrene Weid­mann: „In den Zeiten des wirtschaft­lichen Aufschwungs drängten immer mehr Personen in die Jägerschaft, die aus einem gänzlich anderen Berufs­umfeld stammten; so kam die Jagd ­zunehmend in die Hände von Freizeitjägern.“ Ab da müsse die Jagd, so der Oberförster, in einem ganz anderen Licht betrachtet werden, bot sie doch plötzlich völlig andere Voraussetzungen. „Die Jagd wurde zunehmend zum ­Freizeitvergnügen, und die jagdliche Motivation wandelte sich von der ­Nahrungsbeschaffung hin zur Trophäenjagd“, betont Hafellner sen.
Neue Problemfelder, wie die ­Wildschadenthematik und auch die Schwarzwild-Problematik, stellten die Jagd vor gänzlich neue jagdpolitische Herausforderungen. „Der technische Fortschritt brachte der Jagd sehr viel nützliche, aber vielfach auch unnötige Hilfsmittel. Neuerungen stehen dabei oft in Konflikt mit Tradition und Brauchtum. Ich denke, man darf diese Veränderungen ruhig kritisch sehen, sollte diese als Herausforderung annehmen und sich auch damit aus­einandersetzen“, ergänzt Rudolf jun. den Bericht seines Vaters.
Zuletzt waren die Jäger mit allerlei Neuerungen konfrontiert, etwa die Verwendung von Schalldämpfern oder Nachtzielhilfen, die die „technische Überlegenheit“ des Jägers gegenüber den Wildtieren nochmals in neue ­Sphären hievten. Diese Neuerungen sind zu begrüßen, da sie – in den ­Händen weidgerechter Jäger – auch dem Tierschutz dienlich sind.

Brauchtum & Jagdkultur

Was zählt nun eigentlich alles zum Brauchtum, wollen wir wissen. „Die Einhaltung von ungeschriebenen Vorschriften zur Weidgerechtigkeit, eine entsprechende Kleidung, eine respektvolle Ausdrucksweise durch Anwendung der Jägersprache und das Leben von Traditionen – all das ist Brauchtum und mit einer hochwertigen Jagdkultur und somit einer wertschätzenden Jagd untrennbar verbunden“, so ­Hafellner jun. „Eine traditionelle und respektvolle Handlungsweise grenzt die Jagd von ‚barbarischer Abschlachterei‘ ab und unterstreicht die Bedeutung der Jagd als wertvolles Kulturgut. ­Gerade in Zeiten einer häufig falsch ver­standenen Tierliebe und eines deut­lichen Trends zu veganer Ernährung aufgrund von Tierschutzgedanken, gerät eine reine ‚Fleischproduktion‘, noch dazu mit dem Schwerpunkt auf Trophäenjagd, sehr schnell in ein schiefes Licht und provoziert eine breite Ablehnung. Jagdkultur und das Leben Jagdlichen Brauchtums gibt der Jagd erst eine ­gewisse Identität und auch ein Image, das in der nicht jagenden Bevölkerung Gefallen und Akzeptanz finden kann. Wir glauben nicht, dass es ausreicht, wenn unsere Jäger nur auf Nichtjäger zugehen, ­erklären, was sie tun und warum sie es tun. Nur die Natur und ihre Wildtiere zu schützen bzw. ­regulierend einzugreifen, ist für eine breite ­Akzeptanz zu wenig. Bettet man diese Nutzungsinteressen allerdings in eine breite Jagdkultur mit schönen Traditionen und ‚leiblichen Genüssen‘ von Kunst bis Kulinarik ein, können wir sicherlich mehr nicht jagende ­Mitmenschen für die Jagd begeistern, und auch unser jagdliches Leben wird zur Freude und zum Genuss.“
Damit endet unser lehrreicher Revier­gang, und wir sind uns sicher, dass wir unsere Jagdkultur für viele weitere Jägergenerationen erhalten können, wenn wir sie weiterentwickeln und mit jeder Faser unseres Körpers leben.