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Re(h)ges Treiben

25. Juni 2023 -
Re(h)ges Treiben  - © Fritz Wolf
© Fritz Wolf

Die Jagd zur Rehbrunft ist ein besonderes Schauspiel. Was es bei der Blattjagd alles zu beachten gilt und wie viel Vorbereitung für den Jagderfolg vonnöten ist, zeigt uns ein Berufsjäger. – 1. Teil.

Zum vereinbarten Zeitpunkt und früh genug, um sich ­entspannt auf einen gemeinsamen Blattjagdnachmittag einstimmen zu können, biegt der Gelände­wagen zum Parkplatz des Forsthauses, und ein freundlich lächelnder Mann in grünem Loden steigt aus. Mit einem charakterstarken Händedruck begrüßen einander Berufsjäger und Gast, und nach einem gegenseitigen „Abwinden“ wird der angereiste Jäger in die Stube gebeten.
Hubert – der Berufsjäger – kontrol­liert die Jagdkarte und deren Gültigkeit für das aktuelle Jagdjahr, überträgt die Personalien des Jagdgasts und händigt die vom Jagdausübungsberechtigten unterschriebene Jagdgastkarte aus. Mit der anschließenden Unterschrift von Franz – dem Jagdgast – sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein bundesländerübergreifendes Jagen erfüllt, und nach einer stärkenden Brettljause fahren die beiden zum Schießstand, um einen Kontrollschluss mit der mitgenommenen Büchse abzugeben. Beide sind mit der Trefferlage durchwegs zufrieden, und auch der Jagdhund merkt, dass es jetzt endlich hinaus ins Revier geht.

Vor allem der Klang des Sprengfieps reißt so manch älteren Bock aus seinem ­sicheren Einstand, um nachzusehen, welcher Eindringling da bei einer seiner Geißen steht und sie belästigt.

Der richtige Fiep

Die Vorfreude auf die „Hohen Tage“ der Rehbrunft kann man bei beiden Jägern spüren. Sie freuen sich auf Erlebnisse mit dem Blattjagdinstrument und wissen um die Anziehungskraft der nach­geahmten Töne einer liebestollen Geiß. Vor allem der Klang des Sprengfieps reißt so manch älteren Bock aus seinem sicheren Einstand, um nach­zusehen, welcher Eindringling da bei einer seiner Geißen steht und sie belästigt. Dabei glauben viele Jäger, dass der Sprengfiep die Aufforderung zum Liebesakt wäre. Allerdings ist genau das Gegenteil der Fall. Die Geiß wird vom Bock bedrängt, möchte nicht beschlagen werden und tut dies lautstark mit eben diesem Sprengfiep kund. Der Bock „treibt“ die Geiß auch nicht – er folgt ihr blind auf Schritt und Tritt, um nicht die ­Gelegenheit zur Ver­erbung seiner Gene zu verpassen – denn diese währt nur wenige Stunden.
Die Tage ab dem 5. August zählen in den meisten heimischen Flach- und Berglandrevieren zu den interessantesten der Rehbrunft. Je nach Höhenlage und Geschlechterverhältnis springen die Böcke bis etwa Mitte des Monats ­besonders gut auf die täuschenden Töne des Jägers an. Aber auch zu Brunft­beginn kann man einen testosteron­gesteuerten Bock täuschen und locken. Danach schwinden die Erfolgschancen für einige Tage mit dem Geißfiep. Nun sollte man besser den Kitzfiep anwenden, um das Muttertier zu täuschen. So ­erhält man die Möglichkeit, den der Geiß ­folgenden Bock zu erlegen. Je nach ­Situation – Bock bei der Geiß, Geiß ­alleine, Kitze alleine – entlockt der ­erfahrene Weidmann seinem Lock­instrument zarte Töne. Beim Kitz­angst­geschrei, dem Sprengfiep oder dem ­Eifersuchtsblatten darf schon ein wenig heftiger „geschrien“ werden. Junge, revierlose Böcke, die in der Blattzeit mitmischen wollen, werden auch in dieser Zeit darauf ansprechen; die erhofften älteren und reifen Böcke überlistet man damit aber meist nicht.
Mit dem Abnehmen der Zahl noch brunftiger Geißen nimmt die Chance des Blattjägers wiederum zu. Gegen Mitte August springen dann häufig ­unbekannte und noch suchende ältere Böcke auf die lockend verzaubernden Töne an. Wobei es Tage gibt, da meint man, das Blatten verlernt zu haben, und an „besonderen“ Tagen springen dann zwei bis drei Böcke gleichzeitig. Die Tageszeit spielt dabei zwar eine untergeordnete Rolle, man sollte sich lediglich die guten Blattjagdstunden um die Mittagszeit nicht entgehen ­lassen.

Wissen ist Macht

Für Hubert ist eines gewiss: Wenn der Wind jagt, dann bleibt der Jäger zu Hause. Ansonsten kann der Experte keine Regeln erkennen. Egal, ob Nebel, leichter Regen oder heiße Sommertage: Die Böcke springen oder eben nicht. Und wenn die Böcke springen wollen, dann kommen sie ohnehin auf jedes Gequietsche. Wenn aber ein älterer, ­erfahrener und schlauer Bock springen soll, dann sind etwas mehr an Erfahrung und Fingerspitzengefühl vonnöten. Aber wie geht man vor? – Man kann sich den Ablauf wie ein inszeniertes Theaterstück vorstellen. Je nach Akt und ­Situation müssen die verschiedenen Schauspieler ihre Vorträge und ein­studierten Zeilen von sich geben. Und der Jäger führt dabei Regie.
Vielfach entscheidet das Geschlech­terverhältnis im jeweiligen Revier über Erfolg und Misserfolg. Die abgegebenen Töne sind da meist zweitrangig. In vielen Revieren herrscht ein Überschuss an Geißen, deswegen springen die Böcke auch nicht auf lockende Jäger an, haben sie doch in vielfacher Menge die weitaus verlockenderen Feucht­blätter der brunftigen Geißen vor dem Windfang.

Re(h)ges Treiben  - © Fritz Wolf

© Fritz Wolf

Richtig blatten
Wann blatten? Zu Beginn der Brunft, etwa vom 25. bis 28. Juli, und je nach Höhen­lage und Geschlechterverhältnis vom 5. August bis in die zweite Augusthälfte hinein. Dann sind bereits viele Geißen abgebrunftet, und vor allem die älteren Rehböcke suchen noch nach paarungs­bereiten Partnerinnen.
Wo blatten? Auf gut vorbereiteten Ansitz­plätzen (passender Wind, ge­reinigter Birschsteig, aufgeasteter Anwechselbereich usw.). Das Blatten vom Boden aus wirkt natürlicher und kann mit Ästeknacken, Fege- und Plätzgeräuschen ­„ausgeschmückt“ werden.
Welche Fehler vermeiden? – Nach dem Beziehen des Blattjagdstandes nicht sofort zu blatten beginnen; zumindest eine Viertelstunde warten, sodass sich die Umgebung beruhigen kann.
– Zu lange und falsch modulierte Piä-Töne locken den Bussard.

Blatten: ein Handwerk

Lockrufinstrumente wurden schon vor Jahrhunderten gebaut. Das europaweit einzige Zentrum dieses Handwerks war die Stadt Nürnberg mit ihren zahl­reichen Handwerkszünften. Holzdrechsler fertigten dort Blasinstrumente an, zum Musizieren genauso wie zum ­Locken des Wildes. Bald entstand ein eigener Berufszweig: die Wildruf- und Horndreher. Im Jahr 1611 wurde dieser von der Stadt Nürnberg offiziell an­erkannt. Im Germanischen National­museum finden sich Nachweise einer einst blühenden Branche. Die Nürnberger Spezialisten fertigten Wildlocker mit ausgefeilter Perfektion an. Ab1666 war die Fertigung von Holzblas­instrumenten in Nürnberg nur noch zwei Zünften – den Holz-, Bein- und Messingdrechslerhandwerkern sowie den Wildruf- und Horndrehern – gestattet. Davor konnte dieses Handwerk von jedermann ausgeübt werden.
Jeder Jäger hat seinen Favoriten unter den Rehblattern. Hier sollte man sich bei erfolgreichem Einsatz auch nicht von seiner Überzeugung ab­bringen lassen. Das Blattjagdinstrument ist jedoch kein „Wunderwuzzi“, den man in der Hand hält und der von selbst Töne von sich gibt. Mit dem ­Instrument muss geübt werden, und das am besten zu Hause und nichtim Revier – zumindest nicht im ­eigenen.

Beunruhigt?

Die mitgeführte Wachtelhündin schlägt schon ungeduldig mit ihrer Rutenspitze an die Wand der Hundebox. Sie weiß die Fahrzeit ins Jagdrevier exakt einzuordnen. Das Auto stoppt weit vor dem nach Wind und Störungsfreiheit ausgewählten Stand. Nicht jeder Tag ist gleich, und auch die Beunruhigungen in der Brunft reichen von dröhnenden Erntefahrzeugen auf den Feldern bis zum Käferbaum schneidenden Harvester sowie dem Holz bringenden Forwarder im Wald. Dazu kommen noch viele ­unbekannte Einflüsse, wie zum Beispiel unzählige naturnutzende Menschen, welche sich im Jagdgebiet aufhalten.
Die Rehe gewöhnen sich als Kultur­folger an viele Störungen in ihrem ­Lebensraum, lernen diese mit derZeit als gefährlich oder ungefährlich einzustufen, handeln danach, bleiben im Einstand und in der Deckung oder ziehen nach ihrem Tagesrhythmus zu den begehrten saisonalen Pflanzen, um zu äsen.

Vorbereitung

Leise werden die Autotüren zugedrückt, der Hund bleibt sicherheitshalber im Fahrzeug, das im Schatten geparkt ist. Alle vier Fenster sind einen guten Spalt geöffnet. Franz schultert die unter­ladene Büchse, steckt noch drei Patronen in die Hosentasche, zieht sich denHut ins Gesicht und nimmt seinen Bergstock zur Hand. Hubert nimmt sein Fernglas und seine Lieblings­blatter – einen Hubertus aus Weichselholz und einen ­Rottumthaler von Klaus Demel.
Diese Kombination hat sich für ihn am besten bewährt, und dennoch gibt es viele andere Marken, mit denen sich Böcke erfolgreich heranlocken ­lassen. Der ­Hubertus ist bereits auf den Kitzruf eingestellt. Damit braucht der Berufsjäger nicht dauernd an ­seinem Instrument herumschrauben. Außerdem lässt sich der Sprengfiepmit dem „Piä-Ton“ ohne Membranblättchen schwer nachmachen. Zur Nachahmung des Geißfieps hängt der Rottumtaler Blatter in einem Lederetui um seinen Hals. Aus dem Universalblatter lassen sich bei richtiger Handhabung und ent­sprechender Übung alle in der Rehbrunft notwendigen Töne – vom zart-weichen Kitzfiepbis hin zum laut ­aggressiv gequält ­klingenden Geschrei – modulieren und aussenden.
Im Gleichschritt birschen die ­beiden Jäger am Mittelstreifen der Forststraße zu ihrem Ansitzplatz. Bereits Ende ­Februar sind dem Berufsjäger dort die ­ersten Fege- und Plätzstellen im Revier aufgefallen. Die viel­versprechenden Örtlichkeiten sollten auch im August gut besucht sein. Man überlegt sich nicht erst beim ­Birschen, für welchen Platz man sich entscheiden soll, ­sondern hat ­diesen bereits im Vorfeld ausgewählt. Der Jagdgast kann nicht wissen, wie viele Stunden der Vor­bereitung vor so einem Revierausgang in die ­„Challenge Blattjagd“ investiert worden sind.

Teil 2 folgt in einer dernächsten Print-Ausgaben.

Fieptöne für die Blattjagd