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Re(h)ges Treiben

25. Juli 2023 -
Re(h)ges Treiben  - © Fritz Wolf
© Fritz Wolf

Die Jagd zur Rehbrunft ist ein besonderes Schauspiel. Was es bei der Blattjagd alles zu beachten gilt und wie viel Vorbereitung für den Jagderfolg vonnöten ist, zeigt uns ein Berufsjäger. – 2. und letzter Teil.

Bereits im Vorfeld der Brunft sind neue Blattjagdstände errichtet bzw. die vorhandenen gewartet und „runderneuert“ worden. Äste, welche die Rundumsicht eingeschränkt haben, sind mit einer langen Stangensäge entfernt, die Birsch­steige von Blättern und Astwerk befreit worden.
Gerade an heißen Sommertagen hält sich das Rehwild gerne in den um einige Grad kühleren, blattgekühlten Mischwaldbeständen auf. Dort ist auch die beste Gelegenheit, Rehböcke heranzublatten. Am besten eignen sich dafür bodennahe Ansitzleitern sowie Riegeljagdböcke, Bodensitze oder schnell aufgestellte Ansitzschirme. Die Blattjagdstände sollten sich idealerweise etwa hundert Meter vom Einstand entfernt befinden (Wind berücksichtigen!).
Sogar neue Wechsel mit besserer Einsicht und Erlegungsmöglichkeiten sind durch Ausschneiden von Brombeeren und Astwerk geschaffen worden. Alte, uneinsichtige Wechselabschnitte sind vom Birschführer gar mit Ästen verlegt und damit für das Wild als ­Verkehrsadern unattraktiv gemacht worden. Ein Windprüfer – ein Golfball mit einer weißen Gänsefeder – wurde an einer dünnen Angelschnur so platziert, dass man bereits beim Anbirschen die vorherrschende Windsituation prüfen und mit dem Fernglas erkennen kann. So lässt sich die Häme des tief ­schreckenden, abspringenden Altbockes von vornherein ver­meiden. Denn auch das Wild lernt dazu – sonst gäbe es längst keines mehr.
Spätestens beim Probeschuss hat ­Hubert erfahren und gesehen, ob der Gast ein Rechts- oder Linksschütze ist. Das ist wichtig, denn er muss die Platz­zuweisung auf dem Hochstand dahingehend planen. Auch wurde im Vorfeld vereinbart, mit welcher Handbewegung der anspringende Bock lautlos freigegeben wird. Im Normalfall genügt ein leise gehauchtes „Schießen“ oder andernfalls ein „Zu jung“. Doch nicht jeder Jäger hat sein Gehör im Bestzustand erhalten, und so darf auch das eine oder andere Handzeichen zur nonverbalen Kommunikation eingesetzt werden. Die bereits im alten Rom bei den Gladiatorenspielen verwendeten Daumenzeichen der jeweiligen Kaiser können auch im Jagdbetrieb als Vorbild dienen.

Vor allem der Klang des Sprengfieps reißt so manch älteren Bock aus seinem ­sicheren Einstand, um nachzusehen, welcher Eindringling da bei einer seiner Geißen steht und sie belästigt.

Rottumtaler Rehblatter - Rottumtaler Rehblatter: Natürlicher Klang, einfach modulierbar, mit Umhängekordel und Lederetui. Gesehen um € 48,50 auf grube.at - © Klaus Demmel/Rottumtaler Wildlocker
Rottumtaler Rehblatter: Natürlicher Klang, einfach modulierbar, mit Umhängekordel und Lederetui. Gesehen um € 48,50 auf grube.at © Klaus Demmel/Rottumtaler Wildlocker
Hubertus Rehfiep aus Haselnussholz - Hubertus Rehfiep aus Haselnussholz: Stimmlage modulierbar, voreingestellt auf Schmalreh-Fiep. Gesehen um € 16,99 auf wertgarner1820.at - © Hubertus Collection
Hubertus Rehfiep aus Haselnussholz: Stimmlage modulierbar, voreingestellt auf Schmalreh-Fiep. Gesehen um € 16,99 auf wertgarner1820.at © Hubertus Collection
Weisskirchen Edelholzmundblatter - Weisskirchen Edelholzmundblatter: Große Variabilität – erlaubt alle möglichen Laute des Rehwildes. Gesehen um € 47,90 im Lock­jagdset auf grube.at - © EUROHUNT GmbH
Weisskirchen Edelholzmundblatter: Große Variabilität – erlaubt alle möglichen Laute des Rehwildes. Gesehen um € 47,90 im Lock­jagdset auf grube.at © EUROHUNT GmbH

Vorbereitungen

Hubert nimmt das Gewehr des Gastes und klettert als Erster auf die breit ­gebaute, offene Ansitzleiter – aus ­Sicherheitsgründen. Er möchte keine Gewehrmündung auf sich gerichtet haben. Auch weiß der Gast nicht um die Ansichtsmöglichkeiten, Verstecke und Winkel dieses Standorts, in denendas Wild bereits stehen oder treiben könnte. Nach kurzem Abglasen winkt er Franz zu sich herauf.
Nach dem Platznehmen wird eine Patrone unter dem übergelegten ­Wetterfleck, so lautlos wie möglich, ein­repetiert. Erst nach leiser Einrichtung am Stand, Ablage des Wetterflecks als Auflage am Querbalken und Aufhängen des Fernglases am dafür vorgesehenen Nagel übergibt er dem Gast das ­ge­ladene und gesicherte Gewehr. Der Berufsjäger hat schon viele Beispiele in Sachen Sicherheit mit der Büchse erleben dürfen und weiß, wieer mit diesem wichtigen Thema um­zugehen hat.
Auch beim Ansprechen gibt es klare Anweisungen an den Gast. Springt ein Bock, dann konzentriert sich der Berufsjäger auf das Ansprechen und der Gast auf die Erlegung. Daher führt auch nur Hubert ein Fernglas mit. Die oft wenigen Sekunden, die ein älterer, ­anspringender Bock den Jägern zum Ansprechen und Erlegen lässt, müssen effektiv genützt werden. Da ist es kontra­produktiv und eine Vergeudung von Zeit, wenn auch der Gast mit seinem Fernglas den anspringenden Bräutigam beobachtet, anstatt bereits mit ent­sichertem Gewehr im Anschlag zu sein und auf die Abschussfreigabe zu warten. Apropos „schnell“: Auch die Vergrößerung des Zielfernrohrs wird an den Standort angepasst und das Glas dementsprechend „heruntergedreht“.
Eine Viertelstunde, nachdem die Vögel die beiden Jäger als menschliche Waldeindringlinge verraten haben und am Standort wieder Ruhe eingekehrt ist, holt Hubert seinen Blatter ausdem Filzetui und schickt die ersten Strophen in Richtung des vermeint­lichen Bockeinstandes. Aus einer ­Dickung neben dem Altholz hat er ­bereits mehrere Male einen älteren Bock wechseln sehen. Immer wieder gehen die Töne in verschiedene Richtungen und sie klingen auch nicht gleich. Zu leicht wäre diese Unnatürlichkeit von alten Böcken zu durchschauen, denn auch im Liebesspiel der Rehe ergeben sich aus der Situation, der Geschwindigkeit des Treibens oder der Bereitschaft der Geiß zum Beschlag jeweils unterschiedliche Klangfarben in der Tonierung des Rehrufs.

Erste Strophen erklingen

Hubert dreht vorsichtig seinen Oberkörper und umschließt dabei den ­Blatter mit den Fingern, um die Töne gedämpfter und dabei auch natürlicher zu modulieren. Der Jagdgast sitzt in erwartungsvoller Ruhe daneben und harrt der Dinge. Die ersten Strophen gehen zart und zurückhaltend vonden Lippen. Der Bock könnte in der Nähe eingelagert sein.
Nach etwa fünf Minuten dringt nochmals eine zarte, gedämpfte Serie mit fünf bis sechs Tönen in alle Himmelsrichtungen. Dabei wird der Kopf nur leicht gedreht, und die Hände bewegen sich wie in Zeitlupe. Der mitgenommene Mückenschleier und die Handschuhe leisten jetzt gute Dienste. In der Ferne hört man eine warnende Ringamsel. Auch ein Zaunkönig schimpft ausder gleichen Richtung. Bereits jetzt ­bittet Hubert seinen Gast, sich in die spezielle Richtung zu konzentrieren und das Gewehr locker in Anschlagzu nehmen. Wieder werden die Lippen eingerollt, und ein zartes, aber forderndes „Piiiäää“ huscht in den Wald. Nochmals und nochmals.
Ein roter Schatten springt die ­beiden Jäger an. Der Wildkörper istvon Ästen und Brombeeren verdeckt. Gleich kommt das Stück in die aus­geschnittene und gut einsehbare Zone der Blattjagdarena. Das Stück verhofft genau hinter einem dicken Buchenstamm. Fernglas und Zielfernrohr haben sich bereits an den Wildkörper geheftet und warten auf weitere ­Bewegungen. Hubert dreht sich vorsichtig in die entgegengesetzte Richtung, und wieder entfährt dem Locker ein gar nicht leises „Piiiäää“. Ein neugieriges Jahrlingshaupt mit einem Sechsergeweih äugt im Waldschatten erwartungsvoll und dennoch vorsichtig zur vermeintlichen Position der Geiß. Daumen ­runter.
Die beiden Jäger blicken einander an und schmunzeln. Typisch, kein Alter da, ein Bock gesprungen, aber nur ein ganz junger. Unsicher tritt der Jüngling von einem Vorderlauf auf den ­anderen. Oft genug ist er vom Platzbock in seine Schranken gewiesen worden und hat sich mit aushängendem Lecker in ­Sicherheit bringen müssen. Mit den Knöpflern in der Umgebung geht der Altbock eindeutig behutsamer um, sie erinnern ihn mehr an seine Geißen, und er sieht auch keine Rivalen in den „geweihlosen Buben“.
Da stößt der Gast den Berufsjäger mit dem Ellbogen an. Ein weiterer roter Schatten schleicht an. Das Glas bestätigt einen älteren Bock – Schießen! Der unsichere Jahrling hat beinahe gleichzeitig den anwechselnden Bock erspäht und sucht das Weite. Der Bock erkennt die Bewegung und hetzt dem armen Kerl hinterher. So nah am jagdlichen Erfolg und dennoch ein sich ­tausendmal wiederholendes Theaterstück in der Natur, mit einem Gewinner und einem Verlierer. Wie muss esda einem hungrigen Luchs ergehen, der nah am Ziel seiner erschlichenen ­Begierde dem abspringenden Reh nur hungrig hinterheräugen kann?
Die beiden Jäger birschen zum Auto zurück. Dort wartet der freudig wedelnde Wachtelhund und schnüffelt enttäuscht an den Schuhen, Hosen und Händen der Jäger. Sie fahren nach Hause, wo ein Festessen auf sie wartet, das von der Frau des Berufsjägers ­liebevoll zubereitet worden ist.

Re(h)ges Treiben  - © Fritz Wolf

© Fritz Wolf

Richtig blatten
Welche Töne wann? Die Ruftöne müssen stets der ­jeweiligen Situation angepasst werden. Welche sind in der Natur zu hören und was bedeuten sie?
– Geißfiep: „Hallo, sind da noch andere Rehe?“ Artgenossen werden aufmerksam.
– Getriebene Geiß: „Schön, dass du Interesse an mir hast!“
Bock kommt nachschauen.
– Getriebene Geiß mit Sprengfiep: „Geh weg, ich will noch nicht!“ Eifersüchtiger Platzbock sieht nach dem Rechten.
– Kitzfiep: „Mama, wo bist du?“ Muttergeiß wird aufmerksam.
– Kitzangstgeschrei: „Mama, der Fuchs ist hinter mir her!“ ­Muttergeiß kommt schnell.
– Schrecken: „Achtung, ein Feind ist nah.“ Reh verhofft ruckartig.
Welche Fehler vermeiden? – Immer in dieselbe Richtung zu blatten ist sinnlos. Eine ­Rehgeiß steht auch nicht immer am gleichen Platz.
– Blatten, wenn der Wind nicht passt.
– Den Blattjagdstand zu schnell zu verlassen; besonders schlaue Böcke schleichen oft ganz vorsichtig an.

Neuer Tag, neues Glück

Auch zum Frühstück am nächsten Tag erwartet die beiden zur dämmernden Morgenstunde ein heißer Schwarzer mit Roggenbrot, Bauernbutter und Waldhonig. Das am Vortag Besprochene gilt natürlich auch für heute, und Hubert und Franz sitzen am Wald-Feld-Rand in einem gut mit Ästen getarnten ­Bodensitz. An den heißen Augusttagen zieht das Rehwild bereits früh von den Feldern in die kühlen Waldparzellen und führt dort sein Liebesspiel weiter. Wieder warten die beiden, bis sich die Umgebung beruhigt hat, der Eichel­häher seine Warnrufe eingestellt und auch der Kleiber sich wieder mit seiner akrobatischen Kopfüber-Nahrungssuche beschäftigt. Hier zieht auch die blau-orange Spechtmeise ihren Nachwuchs groß.
Hubert schickt die dritte Lock­strophe in den umliegenden Fichten­altholzbestand, eine Restfläche, dievon den nicht allzu weit zurück­liegenden Borkenkäferjahren zeugt. Rundherum Einstand, Deckung, Einstand, Äsung usw.
Plötzlich hebt Franz langsam ­seinen Repetierer zur Wange und ­wartet auf ein Wort von Hubert. Als der fahlgelbe Wildkörper mit den tief angesetzten Rosen verhofft, peitscht der schallgedämpfte Schuss durch den Wald, und vier Läufe ragen in einem letzten Strecken gegen das Blätterdach. „Weidmannsheil, der Bock liegt.“