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Winterfütterung: ja oder nein?

27. Dezember 2023 -
Winterfütterung: ja oder nein?  - © Michael Breuer
© Michael Breuer

Auch wenn die Winterfütterung nicht allein für die steigenden Rotwildbestände verantwortlich ist, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass sie einen gewissen Fallwildverlust kompensiert und die Reproduktionsrate unter bestimmten Voraussetzungen hebt. Also: Was tun? – Teil 2: Was macht eine gute Fütterung aus?

Nachdem die Bedeutung von ruhigen und geeigneten Über­winterungslebensräumen sowie die Schwierigkeit der Diskussion bei diesem Thema bereits angesprochen wurden, wenden wir uns der Frage zu, wie eine gute Fütterung auszusehen hat.

Auf dem Prüfstand

Grundsätzlich gilt: Auch wenn eine Fütterung schon seit ­vielen Jahren oder Jahrzehnten besteht, ist es sinnvoll, diese immer wieder zu prüfen und zu optimieren. Die Bedingungen, unter denen eine Fütterung genehmigt und aufgestellt wurde, können sich über die Jahre ändern. Vielleicht hat der Grundeigentümer gewechselt, die Wildbestände an der Fütterung sind ge­stiegen, es treten zunehmend ­Schäden auf, eine neue Rückegasse wurde nahe der Fütterung angelegt oder eine einst einsame Tour auf einen nahen Gipfel wurde als „Geheimtipp“ in der Zeitung oder im Internet veröffentlicht und hat zu einer Zunahme des Besucherstroms geführt. Einen ungeeigneten Fütterungsstandort mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und damit zu begründen, dass dort „immer schon gefüttert wurde“, ist absolut nicht zielführend und macht das Argument der an­gestrebten Wildschadensminimierung unglaubwürdig.
Was also tun, wenn zunehmend Probleme auftreten? – Erst einmal ist das Gespräch mit den Betroffenen zu suchen. Gibt es Möglichkeiten, den bestehenden Standort zu verbessern, oder ist es sinnvoller, nach einer ge­eigneteren Alternative zu suchen? Wenn der Grundeigentümer beispielsweise nicht mehr mitmacht, wird man um diese Frage nicht herumkommen, außer man entscheidet sich dafür, keine ­Fütterung mehr zu betreiben (hier sind jedoch die rechtlichen Vorgaben zu ­beachten). Die Belange der Beteiligten (Forst-/Landwirtschaft, Naturschutz, Jäger und ggf. weiterer) sind auf jeden Fall zu berücksichtigen.

Wahl des Standorts

Der entscheidende Punkt für eine gute Fütterung ist die Wahl des Standorts. Ein schlechter Standort kann auch durch das beste Futtermittel nicht wettgemacht werden. Durch gute und attraktive Futtermittel kann dann das Rotwild zwar in den Umgriff der Fütterung gelockt werden, ist jedoch die Futteraufnahme ohne zu erwartende Störungen (beispielsweise Überraschungseffekt durch plötzlich auftauchende Naturnutzer) an dieser Fütterung nicht möglich, wird das Rotwild so lange in den Einständen warten, bis es sich ­sicher genug fühlt, die Fütterung ­aufzusuchen. Diese „Wartezonen“ sind jedoch in der Regel nicht dafür aus­gelegt, dass größere Rudel eine längere Zeit dort stehen und nach Äsung suchen.
Bei der Wahl des Standorts sind die Beteiligten einzubeziehen: Stimmt der Grundeigentümer zu, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Wie ­werden auftretende Schäden im Umgriff der Fütterung abgegolten? Gibt es von landwirtschaftlicher oder forstlicher Seite Einwände? – Etwa wegen verjüngungsnotwendiger Bestände im Umgriff? Oder gibt es Schutzwald, der in seiner Funktion nicht gestört werden darf? Wie ist die Wildschadensanfälligkeit der forstlichen Vegetation einzuwerten? Ein gewisser Wildeinfluss auf die Vegetation ist in der unmittelbaren Umgebung der Fütterung sowie auf den Wechseln zu diesem Standort auch bei der besten Fütterung nicht zu vermeiden. Sind daher eventuell Schutzmaßnahmen bestehender Bestände nötig?
Auch die naturschutzfachlichen Inte­ressen sind zu wahren. Eine Fütterung in einem naturbelassenen Moor kann den Moorkörper durch Tritt­schäden beeinflussen. Bauliche Einrichtungen in Naturschutzgebieten sind vorher abzuklären. Der Eintrag von Losung kann zur Eutrophierung der Böden führen. Und auch außerhalb des Wirtschaftswaldes kann der Schalenwildeinfluss die Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften beeinflussen und gegebenenfalls als Schaden gewertet werden.

Winterfütterung: ja oder nein?  - © Martin Grasberger
© Martin Grasberger
Winterfütterung: ja oder nein?  - © Johannes Kernmayer
© Johannes Kernmayer
Winterfütterung: ja oder nein?  - © Martin Grasberger
© Martin Grasberger

In der Ruhe liegt der Erfolg

Aus Sicht des Jägers, des Pächters bzw. des Beauftragten einer Fütterung muss der Standort so gewählt werden, dass das Beschicken und somit die ­Vorlage von Futter über die gesamte Fütterungsperiode gewährleistet werden kann. Im Gebirge spielt dabei auch die Ein­schätzung von Muren- oder ­Lawinenabgängen eine Rolle. Auch die Lagerung der Futtermittel ist ausschlag­gebend. Entweder braucht es einen ­Stadel am Futterplatz oder eine Zufahrt, mit der das Futter regelmäßig zur Fütterung gebracht werden kann. Je größer die Fütterung und der
daran versorgte ­Futterwildbestand, desto gravierender wirken sich Fehler beim Füttern aus.
Der wichtigste Punkt ist aus ­wildökologischer Sicht die Ruhe an der Fütterung und in ihrem Umgriff.
Es braucht die entsprechenden Einstände in der Nähe – optimalerweise ruhige und sonnige Süd- oder Süd­osthänge – sowie Rückzugs­möglich­keiten, die gleichzeitig das Sicherheitsbedürfnis des Wildes befriedigen. Ein Hang oder eine Kuppe im Gelände, von denen aus das Rotwild potenzielle Gefahren rechtzeitig wahrnehmen und den Futterplatz sowie die Zuwege gut einsehen kann, zählen jedenfalls als große Pluspunkte. Problematisch hingegen sind Geländestrukturen oder bauliche Einrichtungen, die es er­möglichen, dass das an den Raufen ­stehende Wild plötzlich überrascht wird und den Futterplatz hochflüchtig verlässt. Ein gutes Zeichen ist wiederum, wenn das Rotwild bereits beim Beschicken der Raufen sichtbar wird und sich trotz der ­Anwesenheit des ­Beschickers nähert, gegebenenfalls Futter an bereits ge­füllten Raufen aufnimmt oder sogar am Futterplatz zur Ruhe geht und die Äsung wiederkäut. Ruhelager ­können dem Beschicker zudem bei der Kontrolle des Futterplatzes am nächsten Tag einen klaren Hinweis ­darauf geben, ob sich das Wild dort vertraut aufgehalten hat.
Interessant ist, dass Rotwild durchaus in der Lage ist, die Personen zu erkennen, welche die Fütterung ­regelmäßig beschicken, und sich im Beisein einer fremden Person vor­sichtiger oder sogar scheu verhält. Werden die Tiere ständig beunruhigt – sei es an der Fütterung oder in ihren Einständen – kann der Energie­verbrauch im Winter um bis zu 30 % steigen. Dies geschieht überwiegend, um die Körperwärme aufrechtzuerhalten, die Muskeln damit warm zu halten und somit stets fluchtfähig zu bleiben. Dieser Mehrverbrauch an Energie schlägt sich am Ende in einem erhöhten Nahrungs­bedarf nieder.

Alle satt?

Auch das Mikroklima an der Fütterung sollte in die Planung miteinbezogen werden. Wie bereits angedeutet, sind – sofern verfügbar – südseitige Standorte zu bevorzugen, da sie den natürlichen Überwinterungslebensräumen des Rotwildes entsprechen. Ein trockener Boden, wenn nötig durch Drainage geschaffen, vermindert die Übertragung von Krankheiten und erleichtert die Beschickung mit Schlitten oder anderen Geräten. Oftmals unberücksichtigt bleibt die Verfügbarkeit von Wasser im Winter. Kleine Bäche oder Wasserreservoirs in der Nähe, die nicht zufrieren, ermöglichen die Wasseraufnahme. Wo dies im näheren Umfeld nicht möglich ist, kann mit wasserhaltigen Futtermitteln zugefüttert werden. Diese können auch bei der Verfügbarkeit von Wasser einen Teil des Flüssigkeitsbedarfs im Winter decken. Weitere Ausführungen zu den Futtermitteln folgen im nächsten Teil.
Nicht zuletzt ist auch die Erreichbarkeit des Fütterungsstandorts für das Rotwild wichtig. Wenn sich die Tageseinstände nachgewiesenermaßen auf einer, die Fütterung jedoch auf der ­anderen Seite einer viel befahrenen Straße befinden, werden Wildunfälle provoziert. Unter der Erreichbarkeit ist aber auch zu verstehen, dass die Raufen oder Tröge so hoch sind, dass sie auch von den Kleinsten, den Kälbern, gut zu erreichen sind. Die Anzahl und Verteilung der Raufen sollte auf jeden Fall auf den Futterwildbestand abgestimmt sein. Auch am Futterplatz herrschen Hierarchien, und wenn nicht jedes Individuum die Fütterung gesättigt verlässt, sobald das Rudel aufbricht, kann es zu Wildschäden kommen. Ziel der Fütterung muss sein, dass das Futterwild sein Bedürfnis nach Nahrung an den Einrichtungen stillen kann. Hierzu muss die Futteraufnahme jederzeit möglich sein.

Achtung, Keime!

Die Hygiene am Futterplatz ist sicherlich ein weiterer grundlegender Punkt an einer Fütterung. Je höher die Wilddichten, desto höher ist die Gefahr der Krankheitsübertragung. Die TBC ist in diesem Zusammenhang ein Schlagwort, das dem erfahrenen Jäger sicherlich Unbehagen bereitet, weil es seit Jahren immer wieder thematisiert wird und die Folgen dramatisch sein können. Hygiene fängt bereits bei der richtigen Lagerung der Futtermittel an, geht über die Entzerrung des Wildes über aus­reichend voneinander entfernte Raufen und endet bei der Reduktion der Keimbelastung. So sollten Losungsrückstände regelmäßig beseitigt werden und der Futterplatz nach Ende der Fütterungsperiode grundgereinigt werden. Oftmals wird hierzu Branntkalk verwendet, um Mikroorganismen abzutöten. Aber auch intensive Sonneneinstrahlung kann durch das darin enthaltene ­UV-Licht Keime unschädlich machen.
Der Fütterungsbeginn kann nicht an einem Datum festgemacht, sondern muss fallweise entschieden werden. Wichtig sind dabei die revierübergreifende ­Absprache und die Koordination – wie bei anderen jagdlichen Themen auch. Eine tägliche Beschickung ist nötig, wenn die fortwährende Futtervorlage sonst nicht gewährleistet werden kann. Eine Futterplatzkontrolle auch im ­Umfeld kann Sinn machen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Wichtig ist, dass eine einmal begonnene Fütterung auch bis zum Ende der ­Fütterungsperiode beschickt und nicht unterbrochen wird, da die Umstellung des Pansens beim Rotwild etwa 2–3 ­Wochen dauert. Ähnlich verhält es sich bei der Wahl der Futtermittel, die aus demselben Grund nicht abrupt um­gestellt werden sollten.
Dies schlägt bereits die Brücke zum dritten und letzten Teil dieser Reihe, in dem es um die Wahl der ­Futtermittel sowie die Ausgestaltung der Fütterung als freie Fütterung oder Wintergatter gehen soll und was dabei zu beachten ist.

Über den Autor: Oliver Deck, MSc., ist Wildökologe im südlichen Oberbayern und mit dem Thema ­Winterfütterung von Rotwild seit Jahren befasst.