Reportage

Ach, du dickes Ei!

25. Mai 2022 -
Bodenbrüter-Habitat - © Barbara Marko
© Barbara Marko

Der Bruterfolg der Bodenbrüter ist unter anderem vom Beutegreiferdruck abhängig. Dass dieser sogar zu einem Totalausfall der Brut führen kann, zeigte sich in einem Gelegeversuch.

Für Fasan, Bekassine und viele andere Bodenbrüter neigt sich die Paarungs- und Brutzeit ihrem Ende zu, und der Nachwuchs schlüpft in den kommenden Tagen. Vorausgesetzt, die Eier sind noch unversehrt und nicht diversen Beutegreifern zum Opfer gefallen. Denn die Prädatoren jagen nicht nur das adulte Niederwild, auch das Gelege der Bodenbrüter wird während der Brutzeit bewusst von den Räubern aufgesucht und geplündert. Der Brut­erfolg und infolge­dessen auch die Populationsdichte der einzelnen Niederwildarten werden dadurch immens beeinflusst. Bei einem besonders starken Beutegreiferdruck kann es sogar zu einem kompletten Ausfall der Brut kommen. Bleibt dieser Druck über einen längeren Zeitraum aufrecht, so kann dies die Bio­diversität im Revier und darüber hinaus negativ beeinflussen.
Um den Beutegreiferdruck im eigenen Niederwildrevier zu erheben, hat der NÖ Jagdverband eine Anleitung erstellt, die jeder Jäger und jede Jägerin im ­Revier umsetzen kann. Einen Einblick in solch einen Versuchsablauf erhielten wir in einem Niederwildrevier des westlichen Weinviertels.

Versuchsaufbau

Da die Empfehlung der Flächengröße (zusammenhängende, unverbaute Fläche von mindestens 500 ha und ein Waldanteil von maximal 50 %) in dem von uns besuchten Revier erfüllt wurde, konnte der Gelegeversuch gestartet werden. Zu Beginn muss man sich für einen geeigneten Standort entscheiden. Um aussagekräftige Daten zu erhalten, darf nur ein Gebiet gewählt werden, das einen passenden Lebensraum für die im Revier lebenden Bodenbrüter bietet. Unsere Wahl fiel auf einen Bachlauf, der beidseitig mit einem etwa sechs Meter breiten Vegetationsstreifen, bestehend aus Hecken, Schilf und ­Bäumen, ausgestattet ist. Aus jahre­langer Erfahrung der Jägerschaft vor Ort ist bekannt, dass hier diverse Boden­brüter, wie Fasan, Rebhuhn, Kiebitz, Bekassine, Stock- und Krickenten, ­gelegentlich sogar Großtrappen, ihre Gelege errichten.
Ausgestattet mit zwei Packungen kleiner, brauner Hühnereier, einem ­unauffällig gefärbten Zwirn und einer Kamerafalle ging es flussaufwärts den Bachlauf entlang. Auf einer Länge von 200 m wurden im Abstand von zwanzig Metern insgesamt zehn Kunstgelege angelegt. In diese wurden jeweils drei dunkelfärbige Hühnereier ausgelegt. Die Gelege wurden an beiden Seiten des Gewässers positioniert, jedoch war dies nicht immer einfach, denn ein im Revier lebender Biber hat seine ­Anwesenheit mehr als deutlich gemacht und über die gesamte Länge der ­Auslagestrecke den Bach mehrmals aufgestaut. Die angefertigten Kunstgelege wurden so präpariert, dass sie von oben nicht sofort einsehbar waren, ähnlich wie ein Fasangelege. Um die Positionen der ausgelegten Eier beim Kontrollgang wiederzufinden, wurde in unmittelbarer Nähe des Geleges an einem Zweig ein Stück Faden als Markierung an­gebracht. Zusätzlich wurde bei einem Kunstgelege eine Kamerafalle an einem Baum montiert, um im Falle einer Gelege­plünderung Rückschluss auf den Prädator ziehen zu können.

Ergebnisse

Nach fünf Tagen statteten wir dem Nieder­wildrevier einen weiteren Besuch ab, um selbst einen Eindruck des Beutegreiferdrucks vor Ort zu erhalten. Beim Kontrollgang wurde notiert, wie viele der ausgelegten Eier noch unberührt im Kunstgelege vorzufinden waren. Bereits die Kontrolle des ersten Geleges offenbarte den Druck, den die Beutegreifer hier entlang des Baches auf das Niederwild ausüben: Sämtliche von uns positionierten Hühnereier wurden aus dem ersten Kunstgelege geplündert, und dieser Trend setzte sich entlang der gesamten Auslagestrecke fort. Bis zum Ende der Strecke konnten lediglich zwei der dreißig (!) ausgelegten Eier unberührt vorgefunden werden! Die restlichen Eier wurden entweder von den Beutegreifern verschleppt oder noch vor Ort gefressen. Kurz gesagt: beinahe ein Totalausfall der simulierten Brut.
Das Ergebnis ist insofern beun­ruhigend, da die Jagdausübungsberechtigten im Revier das ganze Jahr unter Rücksichtnahme der gesetzlichen Bestimmungen die Beutegreifer intensiv bejagen.

Übeltäter

Der hohe Beutegreiferdruck wirft die Frage auf, welche Prädatoren in diesem Niederwildrevier vorkommen. Hierfür kann die vor fünf Tagen im Revier ­platzierte Kamerafalle herangezogen werden, wodurch schnell drei „Übel­täter­arten“ ausgemacht werden können. Ein Steinmarder hat die Gunst der Abendstunde genutzt und sich das von uns bereitgestellte Festmahl nicht entgehen lassen. Auch tagsüber wurden die ­Gelege von Beutegreifern aufgesucht: Sowohl eine Rohrweihe als auch zwei Elstern haben die abgelegten Eier ­dankend angenommen.
Existieren keine Kamerafallennachweise, so bedeutet das nicht, dass keine Rückschlüsse auf die Beutegreifer im Revier gemacht werden können. Ein aufmerksamer Blick in die Umgebung kann oft schon weitere Hinweise liefern. In unmittelbarer Nähe der Kunstgelege konnten wir unter anderem einen Fuchsbau entdecken. Dies lässt ver­muten, dass auch Meister Reineke in diesem Revier seine Spuren zieht. Auch die geplünderten Kunstgelege selbst liefern einige Informationen über die Übeltäter. So erklärt man uns, dass ein vollständig erbeutetes Gelege meist für einen Marder oder Fuchs spreche. Zurückgebliebene Eierschalen­reste können ebenfalls Aufschluss über den Prädator geben, denn nicht jedes Tier hinterlässt die gleichen Fraßspuren. „Die Elster pickt die Eier in der Regel in der Mitte auf. Auch der Marder ­öffnet die Eier in der Mitte, jedoch hinter­lässt er einen zackigen Rand. Öffnungen an den Enden der Eier ­weisen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Prädation durch Igel oder ­Wiesel hin“, erklärt einer der Jäger aus dem Revier.
Der Gelegeversuch wird mittlerweile das dritte Jahr in Folge von den Jägern vor Ort durchgeführt, wodurch neben den bereits genannten Arten auch noch zahlreiche andere Prädatoren im Revier nachgewiesen werden konnten. Dazu zählen unter anderem Dachs, Waldiltis, Wanderratte, Nebelkrähe, Kolkrabe, Eichelhäher, Uhu, Rotmilan, Habicht und Sperber sowie ­diverse Bussarde. Eine große Vielfalt an Beutegreifern, die ­jedoch zum Verhängnis der Boden­brüter werden kann.

Das Kunstgelege wurde gut abgedeckt. - Das Kunstgelege wurde gut abgedeckt. - © Barbara Marko
Das Kunstgelege wurde gut abgedeckt. © Barbara Marko
Die scharfen Augen der Rohrweihe haben die Eier gefunden. - Die scharfen Augen der Rohrweihe haben die Eier gefunden. - © privat
Die scharfen Augen der Rohrweihe haben die Eier gefunden. © privat
Markierungen an Zweigen dienen  zum Aufspüren der Kunstgelege. - Markierungen an Zweigen dienen zum Aufspüren der Kunstgelege. - © Barbara Marko
Markierungen an Zweigen dienen zum Aufspüren der Kunstgelege. © Barbara Marko
Die aufgefundenen Eierschalen weisen unterschiedliche Fraßspuren auf. - Die aufgefundenen Eierschalen weisen unterschiedliche Fraßspuren auf. - © Barbara Marko
Die aufgefundenen Eierschalen weisen unterschiedliche Fraßspuren auf. © Barbara Marko
Die Fraßspuren liefern Hinweise über die jeweiligen Prädatoren. - Die Fraßspuren liefern Hinweise über die jeweiligen Prädatoren. - © Barbara Marko
Die Fraßspuren liefern Hinweise über die jeweiligen Prädatoren. © Barbara Marko
Durch die Fraßspuren konnten noch zahlreiche andere Prädatoren im Revier nachgewiesen werden. - Durch die Fraßspuren konnten noch zahlreiche andere Prädatoren im Revier nachgewiesen werden. - © Barbara Marko
Durch die Fraßspuren konnten noch zahlreiche andere Prädatoren im Revier nachgewiesen werden. © Barbara Marko

Unterstützung

Um den Niederwildbesatz im eigenen Revier zu unterstützen, gibt es drei Parameter, die von Jagdausübungs­berechtigten beeinflusst werden können.
Als erste Stellschraube ist die Lebens­raumverbesserung zu nennen. Grundstein für das Vorkommen verschiedener (Niederwild-)Arten ist ein geeignetes Habitat. Daher muss für ein solches gesorgt werden, bevor andere Managementmaßnahmen in Angriff genommen werden. Bodenbrüter benötigen aus­reichend natürliche Deckungsmöglichkeiten, um vor Wetter­einwirkungen und Beutegreifern geschützt zu sein. Die Tiere profitieren dabei von einem möglichst hohen und gut verteilten Angebot an Hecken, Brachen und ­Wildäckern. Werden manche Heckenabschnitte im Frühjahr auf den Stock gesetzt, können aus dem dadurch ­gewonnenen Altholz kleine Haufen im Revier angelegt werden. Diese locken im Frühling zahlreiche Insekten an, die wiederum für die Jungtiere des ­Federwildes eine essenzielle Nahrungsquelle darbieten.
Fütterungen gelten als die zweite wichtige Stellschraube, da sie vor allem in den äsungsarmen Wintermonaten von großer Bedeutung sind. Da der Mensch keinen Einfluss auf das Wetter hat, kann selbst im Frühjahr, wenn das Feder­wild bereits brütet, die Vegetation noch spärlich ausfallen. In solchen Situationen können zur Unterstützung der Jungenaufzucht eiweißreiche Futtermischungen angeboten werden. Neben der Art der Futtermischung spielen auch Lage und Anzahl derselben eine Rolle. Um eine Ansammlung von Tieren zu vermeiden, sollten mehrere Futterstellen errichtet werden. Des Weiteren sollte an den Orten, an denen Futter angeboten wird, ausreichend Deckung vorhanden sein, damit die Beutegreifer kein leichtes Spiel haben und diese nicht zur Todeszone werden.
Die letzte, aber nicht minder wichtige Stellschraube, stellt die Bejagung dar. Lässt sich anhand eines durch­geführten Gelegeversuchs ein hoher Beutegreiferdruck im Revier nach­weisen, so kann die gezielte Bejagung von Prädatoren unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen den bisherigen Druck reduzieren. Folglich kann nicht nur der Bruterfolg der Boden­brüter, sondern auch die Überlebensrate von sonstigem Jungwild wieder steigen.

Gewissheit

Die durch Gelegeversuche erhobenen Daten müssen immer mit einer ­gewissen Sorgfalt betrachtet werden. Ein Totalausfall einer simulierten Brut muss nicht automatisch auf eine hohe Beute­greiferdichte hinweisen. Es ist möglich, dass nur ein einzelnes Individuum die Chance nutzte, die Auslagestrecke über den gesamten Versuchszeitraum entlangzustreifen und das bereitgestellte Futter anzunehmen. Daher ist es wichtig, weitere Hinweise im Revier zu sammeln. Fraßspuren auf den Eierschalen oder Fotonachweise von Kamerafallen können zusätzlich Gewissheit bringen. Kann dadurch ­sichergestellt werden, dass eine hohe Dichte an Prädatoren für den starken Beutegreiferdruck verantwortlich ist, so kann man den Jagddruck steigern, um die Bodenbrüter ent­sprechend zu schützen.

Hinweis: Das Versuchsrevier, in dem wir diesen Gelege­versuch begleitet haben, möchte namentlich nicht genannt werden (ist der Redaktion bekannt).