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Fit für die Nachsuche?

27. Mai 2022 -
Nachsuche - © Christoph Burgstaller
© Christoph Burgstaller

Eine fachgerechte, professionelle Nachsuche ist im Falle eines schlechten Schusses obligat. Wie eine solche in der Praxis ablaufen kann, und was es im Vorfeld alles zu bedenken gibt. – Erfahrungen aus der Praxis.

Nicht allein der ferme Schweiß­hund und die moderne Ausrüstung sind Garanten für eine erfolgreiche Nachsuche, sondern auch der Hundeführer selbst. Von kurzen Totsuchen einmal ab­gesehen, können Nachsuchen unter Umständen über mehrere Kilometer in unterschiedlichsten Geländeausformungen und Vegetationsstrukturen reichen.
Solche Einsätze sind nur dann zu bewältigen, wenn sowohl der Hund als auch sein „Steuermann“ über die erforderlichen physischen Voraussetzungen verfügen und von Anbeginn gewillt sind, sich auch unvorherseh­baren Strapazen zu stellen.

Richtiges Einschätzen

Anlässlich einer Bewegungsjagd werde ich zur Nachsuche auf ein Stück Schwarzwild gerufen. Der Schütze berichtet mir, dass er einen Schuss auf einen halbspitz anwechselnden Überläufer einer gemischten Rotte ­abgegeben hat. Ohne merklich zu zeichnen, ist das Stück geflüchtet, dicht gefolgt von einem fährtenlauten Wachtelhund. Der zur Fährte gelegte Schweißhund bringt allerdings darauf die Bestätigung, dass das Stück ge­troffen worden ist.
Da das Stück nach ungefähr einem Kilometer scheinbar immer noch mit der Rotte mitzieht und kaum noch schweißt, vermute ich den Treffer im Bewegungsapparat. Entlang von Steilhanglagen und tiefen Kerbtälern queren wir mehrere potenzielle Einstände, jedoch ohne ein Tropf- oder Wundbett zu finden.
Erschöpft und dehydriert stehen wir nach weiteren eineinhalb Kilo­metern vor einer Schlucht. Die Motivation, den nach wie vor straff im ­Riemen liegenden Schweißhunden ­weiter zu folgen, hält sich in An­betracht des offensichtlich nur leicht verletzten Stückes und unserer schwindenden Kondition in engen Grenzen. Bestärkt durch die Information meines ortskundigen Begleiters, dass sich am Gegenhang eine größere Schwarz­dorneninsel befände, die erfahrungsgemäß bevorzugt von Schwarzwild als Einstand genutzt werde, beschließen wir, die Suche fortzusetzen. In der Talsohle angekommen, signalisieren mir die Hunde, dass sie von der Halsung befreit werden wollen.
Es dauert nicht lange, bis der tiefe Standlaut zu vernehmen ist. Nach sorgfältiger Prüfung des Windes arbeite ich mich auf allen Vieren im Tunnelsystem der Schwarzdornen an das gestellte Stück heran, um an einer freien Stelle – auf die Hunde und einen Kugelfang achtend – den Fangschuss antragen zu können. Es gelingt. Glücklich und erleichtert, das durch einen Streifschuss im Schulterbereich verletzte Stück zur Strecke gebracht zu haben, begeben wir uns nach der Roten Arbeit auf den Heimweg.

Verhitztes Wildbret

Es kommen aber auch Situationen vor, in denen Nachsuchen aus Bequemlichkeit und mangelnder Kondition nicht den Grundsätzen der Weidgerechtigkeit entsprachen. Von solchen möchte ich berichten:
Vor geraumer Zeit erzählte mir ein Jäger von einer Nachsuche, die sich im Anschluss an eine Bewegungsjagd ereignete. Von ihm wurde ein einzelner Überläufer beschossen, der den Schuss zwar mit einem kurzen Rucken ­quittierte, dann aber scheinbar un­verletzt flüchtete. Als es darum ging, die Nachsuche zu koordinieren, bot sich aus der Reihe der Gespanne ein mit modernstem Equipment aus­gestatteter Schweißhundeführer von korpulenter Statur an. In seinem Eifer hatte er es allerdings verabsäumt, sich über die genauen Umstände zu informieren, um Rückschlüsse auf den zu erwartenden Suchverlauf zu ziehen.

Körperliche Strapazen: Alltag eines Nachsuchenden. - Körperliche Strapazen: Alltag eines Nachsuchenden. - © Jürgen Rosenkranz
Körperliche Strapazen: Alltag eines Nachsuchenden. © Jürgen Rosenkranz
Unwegsames Gelände und Dickungen verlangen den Nachsuchenden alles ab.  - Unwegsames Gelände und Dickungen verlangen den Nachsuchenden alles ab. - © Jürgen Rosenkranz
Unwegsames Gelände und Dickungen verlangen den Nachsuchenden alles ab. © Jürgen Rosenkranz
Bei Nachsuchen sind Ausdauer und Fitness gefragt! - Bei Nachsuchen sind Ausdauer und Fitness gefragt! - © Jürgen Rosenkranz
Bei Nachsuchen sind Ausdauer und Fitness gefragt! © Jürgen Rosenkranz
Suchenheil! - Suchenheil! - © Jürgen Rosenkranz
Suchenheil! © Jürgen Rosenkranz

Bereits nach den ersten Hundert ­Metern Anstieg begann er, sich suk­zessive seiner Funktionsbekleidung zu entledigen und hatte Schwierigkeiten, seinem straff im Riemen liegenden Schweißhund zu folgen. Nachdem er schließlich an einem Abhang zu Fall kam und erst nach einer längeren Rutschpartie in einem Graben landete, verkündete er mit brusttönender Überzeugung, dass diesem Stück nicht beizukommen sei. Damit war der Fall für ihn erledigt. Auf die Idee, einen „geländegängigeren“ Nachsucheführer zu empfehlen, kam er nicht. Am nächsten Morgen wurde die Suche auf ­Drängen des Schützen durch ein ­anderes Gespann erneut aufgenommen, und das tief weichgeschossene Stück konnte – in einer Suhle sitzend – von seinem Leid erlöst werden.
Der zweite Fall ereignete sich zur Blattzeit. Beim ersten Büchsenlicht wurde ein treibender Bock beschossen. Nach dem Schuss verhoffte der Bock kurz und zog mit krummem Rücken durch einen lückenhaften Wildschutzzaun in eine Douglasiendickung. Der Schütze bat seinen Mitpächter mit einem Deutsch-Drahthaar um Hilfe.
In Anbetracht des dichten Bewuchses und der vorgegebenen Eignung des Hundes als Totverbeller wurde dieser am Schlupfloch geschnallt. Nach einigen Minuten des angespannten Wartens vernahmen sie Hetzlaut und anschließendes Klagen. Doch die Gesichter wurden lang, als sie anstelle des angebleiten Bockes eine vom „Spezialisten“ abgetane Geiß vorfanden. Dieser wurde danach seltener zu Nachsuchen herangezogen. Ein zur Mittagszeit zur Fährte gelegter Schweißhund fand den längst verendeten Bock keine 200 m vom Einwechsel entfernt. Das Wildbret war mittlerweile verhitzt und verloren.

Keine Experimente

Ein bereits erwähnter Faktor ist ebenfalls die eigene Fitness und eine ehr­liche Selbsteinschätzung in Bezug auf die möglichen Herausforderungen bei der Nachsuche. So hält es auch mein langjähriger Jagdfreund, der mich schon seit über zwei Jahrzehnten auf ­unzähligen Nachsuchen begleitet hat. Obwohl er mittlerweile die Siebzig überschritten hat, folgt er mir noch immer mit großer Leidenschaft auf der Wundfährte. Trotz der ungebrochenen Passion wägen wir den gemeinsamen Einsatz stets unter Berücksichtigung der zu erwartenden Umstände (Revierverhältnisse, Art der Schussverletzung usw.) ab, um die Belastungsgrenzen nicht zu überschreiten. Im Interesse einer möglichst erfolgreichen Nach­suche unterlassen wir daher im Zweifel jegliches Herumexperimentieren.
Jeder, der beabsichtigt, sich der faszinierenden, aber auch im Sinne des Tierschutzes und der Weidgerechtigkeit höchst verantwortungsvollen Nach­suche­tätigkeit zu widmen, sollte sich im ­Vorfeld den Spiegel vorhalten und für sich die Frage nach dem Wollen und Können beantworten. Denn wollen heißt noch lange nicht können!

Faktencheck

  • ehrliche Selbsteinschätzung ­hinsichtlich der zu erwartenden ­Situation, der Geländebeschaffenheit und den Anforderungen an die eigene Ausdauer
  • im Interesse einer verantwortungsvollen Nachsuche – rechtzeitig an einen geländegängigeren Nach­sucheführer verweisen
  • Konditionstraining für Jagdhund und Hundeführer
  • alternative Jagdmöglichkeit mit dem Hund suchen – z. B. Schnallen des Stöberhundes vom Stand
  • Selbstüberschätzung steht nicht nur dem Tierschutz, sondern auch der Weidgerechtigkeit entgegen – eine fachgerechte Nachsuche ist Bestandteil des Ehrenkodex