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Stadt, Land, Jagd

2. Juni 2021 -
Es zeigt sich ein deutlicher Unterschied ­zwischen den dichter be­siedelten Tallagen (rot) und den weniger dicht besiedelten Bergregionen (grün). - © Karl-Heinz Volkmar
© Karl-Heinz Volkmar

Eine Revision des Schweizer Jagdgesetzes war bereits mehrheitlich beschlossen worden, doch dann kippte eine Abstimmung das Ergebnis. Das Stadt-Land-Gefälle stellt auch in Österreich ein Pulverfass dar.

Stehen politische Entscheidungen zu jagdlichen Themen an, ­tendieren diese dazu, besonders kontrovers auszufallen. Die Kluft zwischen Befürwortern und Gegnern erscheint häufig auffällig breit. Dieser Umstand spiegelt sich auch in den Unterschieden zwischen den Personengruppen auf beiden Seiten wider. Ein Unterschied sticht hier jedoch besonders hervor.

Referendum in der Schweiz

Es lohnt immer wieder, einen Blick über die Grenze zu werfen. Gerade die direkte Demokratie der Schweiz bietet oftmals interessante Einblicke. Dort war eine Revision des bundesweiten Jagdgesetzes bereits vom Parlament mehrheitlich beschlossen worden, als die Gegenseite den Antrag stellte, die Bevölkerung in einem Referendum über die geplanten Änderungen abstimmen zu lassen.
Der Termin der Abstimmung wurde wegen der Coronapandemie allerdings um mehrere Monate verschoben, bis sie schließlich am 27. 9. 2020 durchgeführt werden konnte. Die Abstimmung konnten die Gegner des neuen Jagd­gesetzes mit einer knappen Mehrheit von 51,9 % für sich entscheiden und damit die Entscheidung des Parlaments kippen. Die Wahlbeteiligung fiel mit 59,3 % relativ hoch aus, da zum selben Termin noch über weitere Volks­entscheide abgestimmt wurde.
Ein großer Anteil der Eidgenossen hatte sich damit zur Frage um das neue Jagdgesetz geäußert und war dabei fast, aber eben nur fast, zu gleichen Teilen unterschiedlicher Meinung. Die Jägerschaft war über die knappe Niederlage sehr enttäuscht, da der neue Gesetzesentwurf insbesondere durch seine Erleichterung der Regulation der steigenden Wolfspopulation sehr positiv gesehen wurde. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass jagdliche Interessen am Votum der Bevölkerung scheitern. Es lohnt sich aus diesem Grund, auch bei diesem Beispiel genauer hinzusehen.

Ergebnisse im Detail

Um eine Volksabstimmung in der Schweiz zu gewinnen, bedarf es zusätzlich zur Mehrheit der Gesamtstimmen auch einer Mehrheit der Stände, also eines Abstimmungssiegs in der Mehrzahl der 20 Voll- und 6 Halbkantone. Zumindest auf dieser Ebene konnte die Initiative zum neuen Jagdgesetz mit 11+4/2 gegenüber 9+2/2 einen noch durchaus soliden Vorsprung einfahren, wie ihn das Gesamtergebnis so gar nicht erwarten ließ.
Auffällig bei der Betrachtung der kantonalen Ergebnisse ist auch die ­relativ klare Trennlinie in einen Südosten „pro Revision“ und einen Nordwesten „contra Revision". Insgesamt fielen die Ergebnisse in den einzelnen Kantonen oft auch nicht so knapp aus, wie auf Bundesebene. Während im Kanton Basel-­Stadt lediglich 36,1 % für das neue Jagdgesetz stimmten, waren es in Appenzell Innerrhoden mit 70,8 % beinahe doppelt so viele. Der Abstand dieser beiden Extremfälle zeigt, wie groß der Einfluss des Wohnorts auf das Abstimmungsergebnis sein kann. Wie konnte das Jagdgesetz nun aber trotz Stände­mehrheit und im Vergleich auch etwas deutlicher ausgeprägten Pro-Ergebnissen in den betreffenden Kantonen die Wahl in der Gesamt­summe verlieren? Entscheidend ist hierbei nicht die Anzahl der Kantone, sondern deren Größe.

Frage der Topografie

Während die österreichischen Bundesländer schon recht unterschiedlich groß sind und Wien die etwa 6,5-fache Bevölkerung des Burgenlandes besitzt, ist die Diskrepanz in der Schweiz um ein Vielfaches höher. Der bevölkerungsreichste Kanton Zürich hat etwa 95-mal so viele Einwohner wie Appenzell ­Innerrhoden. Insgesamt sprachen sich die vier größten Kantone gegen den Gesetzesentwurf aus, während sich unter den Befürwortern acht der zehn kleinsten Kantone befanden.
Auch wenn statt absoluter Bevölkerungszahlen die Bevölkerungsdichte herangezogen wird, ändert sich dieses Bild kaum. Die vier Spitzenplätze stimmten gegen das Gesetz, und unter den zehn Schlusslichtern finden sich so sogar neun Befürworter. Statt dem klassischen „Rösti-Graben“, der Trennlinie zwischen Deutschschweiz und Welschschweiz (Westschweiz, Anm.), stimmt die Trennung in Befürworter und Gegner des neuen Jagdgesetzes eher mit einer topografischen Karte überein. Dicht besiedelte Städte in ­Tallagen stimmten dagegen, dünn ­besiedelte Bergregionen dafür.

Stadt vs. Land

Diese Unterschiede im Abstimmungsverhalten wirken durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass das Schlüsselthema des Gesetzes, mit dem beide Seiten versuchten, Stimmung zu machen, der Wolf war. Die Bürger alpiner Regionen mit wenig Bevölkerung, aber viel Almwirtschaft, sind von Problemen mit dieser Tierart stärker betroffen als Städter im Flachland ohne Vieh.
Bestätigen kann man diese These auch, indem man noch eine Ebene näher „heranzoomt“. Im größten ­Kanton, dem extrem dünn besiedelten Graubünden, gewann das Jagdgesetz die Abstimmung in jeder einzelnen ­Gemeinde, teilweise mit bis zu 89 % der Stimmen. In Chur, der Hauptstadt des Kantons, fiel der Sieg mit gerade einmal 55,4 % deutlich be­scheidener aus und war eines der schlechtesten Ergebnisse im ganzen Kanton. Es lohnt sich auch ein Blick nach Bern, auf den flächenmäßig ­zweitgrößten Kanton. Die fünf dichter ­besiedelten Regionen vom ­Berner Jura zum Thunersee, in denen auch die Großstädte Bern, Biel und Thun liegen, stimmten gegen das Gesetz und ­überstimmten damit mehrheitlich die anderen fünf dünner besiedelten Regionen im Süden und Osten des Kantons.

Urbanisierung

Es ist eine typische Entwicklung, dass die Interessen von Stadt- und Land­bevölkerung auseinanderstreben. Dieser Trend kann nicht nur in der Schweiz beobachtet werden. Ein anderer, ebenso universell voranschreitender Trend ist die Urbanisierung. Städte werden immer größer, bevölkerungs- und einfluss­reicher, während der Anteil der Landbevölkerung, insbesondere derer, die unabhängig von den großen Städten sind, immer weiter schrumpft. Schließlich sind auch viele Bewohner ländlicher Regionen als Berufs- oder Freizeitpendler bis zu einem gewissen Grad von den nahe gelegenen Städten urbanisiert.
Im Zusammenspiel der beiden ­Entwicklungen liegt eine große Gefahr für ländliche Interessen, darunter auch die Jagd. Sollte es nicht gelingen, auch im urbanen Raum Unterstützung für die eigene Sache zu gewinnen, wird der Gang zur Wahlurne in Zukunft kaum noch Erfolge versprechen. Ist die Schweiz noch recht gleichmäßig bevölkert (nur zehn der 2.212 Gemeinden überschreiten überhaupt 50.000 Einwohner), leben bereits über 21 % aller Österreicher in Wien, und 19 der 94 österreichischen Bezirke beherbergen mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Während die Bevölkerung in Österreich kaum höher ausfällt als in der Schweiz, verteilt sie sich auf ziemlich genau das Doppelte an Landesfläche. Die Gegenüberstellung von Ballungsräumen und dünn besiedeltem Hinterland ist hierzulande extrem ausgeprägt. Umso entscheidender ist es, diese ­Gräben zu überbrücken und auch dort gezielt seine Standpunkte zu vertreten, wo diese sonst nicht gehört würden.
Die jagdliche Öffentlichkeitsarbeit muss auf neue Zielgruppen ausgerichtet werden, und es kann mancherorts nicht schaden, sich auch den einen oder ­anderen Trick von der „Gegenseite“ abzuschauen, denn diese hat momentan die Nase vorn. Nur, wenn auch in den Städten ein Bewusstsein für die Interessen der Landbevölkerung ­geschaffen wird, haben diese eine gute Aussicht, zu ­bestehen.

Foto Karl-Heinz Volkmar