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Täuschend echt

25. Juli 2022 -
Blattjagd auf Rehböcke - © Wolfgang Hauer
© Wolfgang Hauer

Die Blattjagd ist eine besonders reizvolle Art, Rehböcke zu jagen. Bei keiner anderen Jagdmethode kann man die Böcke auf so kurze Distanz heranlocken. Entscheidend für den Erfolg sind mehrere Faktoren, etwa der routinierte Umgang mit dem Blattinstrument, das sichere Ansprechen und die geübte Schussabgabe auf oft kurze Entfernung.

Es ist Anfang August, 4.30 Uhr, und Sepp reißt mich aus meinem ohnehin leichten Schlaf. „Wir müssen früh dran sein“, meint er. Der Morgen sei die beste Zeit zum Blatten, speziell auf freiem Feld. Vor allem, wenn die Nächte nicht mondhell seien, ist Sepp überzeugt.
Er ist ein Blattjagdprofi, und ich darf ihn bei dieser reizvollen Jagd mit der Kamera begleiten. Auf der Fahrt ins Revier erklärt er mir seine Taktik:
„Wir werden einige bestätigte Rehböcke an ausgewählten Plätzen heranblatten. Die endgültige Wahl des Platzes hängt natürlich vom Wind ab. Gerade jetzt, wenn die Böcke bei den Geißen stehen, werde ich mit dem Kitzfiep beginnen, zuerst ganz leise und dann, nach einer Pause, immer lauter. Oft springen nämlich die Geißen auf den Kitzfiep, und hinterher kommen die Rehböcke“, weiß Sepp. Wir treffen uns mit dem ­Revierjäger Bernhard und birschen mit ihm zum ersten Stand. Nach einer zehnminütigen Beruhigungspause beginnt Sepp mit dem Kitzfiep, und schon nach der zweiten Serie springt eine Geiß mit vollem Tempo auf uns zu. Ihre Schalen berühren nur kurz den Boden, so rasant ist sie unterwegs. Etwa fünfzig Meter vor uns hält sie inne und verhofft nach hinten. Und genau wie von Sepp prophezeit, ­passiert es dann auch. Wie aus dem Nichts taucht wenige Meter hinter ihr ein starker Rehbock auf. Misstrauisch äugt er zu uns, und bevor wir ihn noch genau ansprechen können, springt er hochflüchtig ab. Ein ungerader Sechser mit einer auffällig vorspringenden Rose auf der rechten Stange, so viel wissen wir. „Das war kein junger Bock, der hätte gepasst“, brummt Sepp, während wir den Stand leise verlassen.
Wir wechseln zu einem anderen Platz. Noch sind die Wiesen taunass, und die Sonne wärmt uns mit ihren ersten Strahlen. „Wir haben die beste Zeit erwischt“, flüstert Sepp, „die ­Rehbrunft ist in vollem Gange.“ Und tatsächlich: Auch hier funktioniert alles wie am Schnürchen, Sepp lässt den Kitzfiep nur einige Male erklingen, und schon steht wieder eine Geiß vor uns. Im Schlepptau ein Bock, der völlig auf „seine“ Geiß fixiert ist und ihr auf Schritt und Tritt folgt. Entweder hat der Wind gedreht oder er hat uns ­anderweitig wahrgenommen – laut schreckend springt er ab und verschwindet in seinem Einstand. In ­größerer Entfernung tauchen noch zwei Rehböcke auf, die zwar kurz zustehen, dann aber den Rückzug antreten.
Die nächste Stelle liegt am Rande eines großen KIeefeldes, die auch ­außerhalb der Brunft einen Magnet für Rehe darstellt. Der Kitzfiep bringt diesmal keinen Erfolg. Erst der Geißfiep lässt einen Rehbock aus einem kleinen Wald austreten. Er zieht direkt auf uns zu, sowohl Wildbret als auch Geweih lassen auf einen eher jungen Bock schließen. Dennoch legt er keinerlei Eile an den Tag und bewegt sich eher gelassen auf Sepps Ruf zu. Wir sind uns über sein Alter nicht einig, und auch der hohe Klee, der einen sicheren Schuss nicht zulassen würde, sorgt dafür, dass dieser Bock unbehelligt bleibt.
Die Morgensonne im Rücken und vom Schatten des Waldes gut getarnt, beziehen wir den nächsten Stand. Vor uns erstrecken sich herr­liche Sommerwiesen mit Wildkräutern und Korn­blumen vor abwechslungs­reichen kleinen Waldgruppen. Schon auf weite Distanz können wir einen guten Rehbock ­beobachten, der sofort auf den diesmal lauten Geißfiep von Sepp zusteht. Er wechselt mit Bedacht an, macht immer wieder Pausen und verhofft in unsere Richtung. Hoffentlich hält der Wind. Schließlich kommt er auf Schuss­distanz heran, aber noch macht das hohe Gras einen sicheren Schuss ­unmöglich. Erst als der starke Bock an den Rand der hohen Wiese kommt, lässt Bernhard die Kugel fliegen – der Bock liegt im Feuer. Als wir vor dem Rehbock stehen, bestätigt sich, dass er alt und reif ist, und wir freuen uns ­gemeinsam mit dem Erleger über dessen Weidmannsheil. Als Letzten Bissen und Beutebruch verwenden wir anlass­bezogen die tiefblauen Kornblumen.
Nachdem der erlegte Rehbock versorgt ist, wechseln wir das Revier und treffen uns mit David bei einem Stand, der in der Nähe eines Gehöfts liegt, das rundherum von Wiesen umgeben ist. Etwas gedeckt beziehen wir bei einer Holunderstaude Stellung. Sepp geht tief geduckt in Position und beginnt zu blatten. Dieser Stand ist geradezu perfekt für die Blattjagd. Unser Blick schweift Hunderte Meter über Wiesen und Felder, auch ein Kugelfang ist überall gegeben. Im dahinter liegenden Wald sind die Einstände der Rehe. Diesmal dauert es etwas länger, bis Sepp mit seinen Blattserien einen Bock aus dem Einstand locken kann. Noch trennen uns etwa dreihundert Meter von ihm, zu weit für ein sicheres Ansprechen oder gar eine Schussabgabe. Während wir noch auf den entfernten Bock fixiert sind, prescht aus der hohen Wiese zu unserer Rechten ein weiterer Rehbock. Als er nur noch ­dreißig Meter von uns entfernt ist, schöpft er Verdacht und bleibt wie ­angewurzelt stehen. Genau erkennen wir seine ungewöhnlich weit gestellten Stangen: Ein interessanter Bock, da sind wir uns einig. Da er spitz zum Schützen steht und kurz darauf abspringt, bleibt die Kugel im Lauf. In der Zwischenzeit hat sich der erste Bock auf hundertfünfzig Meter genähert. Sepp blattet verhalten und mit Pausen weiter. Doch der offensichtlich starke Rehbock nützt die Deckung des hüfthohen Grases und beobachtet die Szenerie genau. Nach beinahe einer Viertelstunde scheint das Misstrauen zu überwiegen, und er wechselt wieder in Richtung seines Einstandes. Wir haben fürs Erste genug und machen eine ausgedehnte Pause mit verspätetem Frühstück.

Gut gefiept ist halb gewonnen

Am späteren Nachmittag wechseln wir in ein anderes Revier und treffen dort Matthäus. Auch hier dominieren weitläufige Wiesen und zum Teil abge­erntete Weizenfelder. Schon bei der Anfahrt sehen wir einen starken Bock, der bei einer Geiß steht. Leider jenseits der Reviergrenze und vor allem jenseits der stark befahrenen Bundesstraße. Deshalb versuchen wir erst gar nicht, diesen Bock heranzublatten, um keinen Wildunfall zu provozieren. Da der Rehwildbestand in diesem Teil des Waldviertels sehr gut ist, dauert es nicht lange, bis wir einen weiteren Bock entdecken, der gerade eine Geiß treibt. Vorsichtig birschen sich Matthäus und Sepp gegen den Wind bis zu einem Windschutzstreifen an. Dort beginnt Sepp nach einer Pause wieder zu ­blatten. Nachdem weder Geiß noch Bock auf den Kitzfiep oder den Altgeißfiep reagieren, versucht es Sepp mit dem Sprengfiep. Aufgeregt, laut und in verschiedene Richtungen blattet Sepp jetzt, um diesen Bock doch noch zum Springen zu bewegen. Und tatsächlich steht dieser nach einigen Minuten in unsere Richtung auf eine gemähte Wiese zu. Deutlich zeichnen sich die Strapazen der Brunft auf seinem Wildkörper ab, seine Federn sind deutlich zu sehen. Er wirkt interessiert, hat aber keine Eile und bleibt etwa hundert Meter vor uns stehen. Nach kurzem Ansprechen und einem wortlosen, beider­seitigen Kopfnicken, erlegt ­Matthäus den reifen Bock mit sicherem Schuss.
Der nächste Morgen verspricht einen herrlichen Hochsommertag. In sattem Gelb leuchten die Sonnenblumenfelder im ersten Morgenlicht, während wir gut gedeckt im Schatten mit dem ­Blatten beginnen. Schon nach wenigen Kitzfiep-Serien springen zwei Reh­böcke, gemächlich aber doch, in unsere Richtung. Doch anstatt weiter auf uns zuzustehen, kommt es zu einem harmlosen Scheinkampf zwischen den beiden. Der hintere Bock ist deutlich stärker, und so wird der Schwächere vom Platzbock versprengt. Schließlich verschwinden beide in ihren Ein­ständen. Sepp möchte noch etwas ­zuwarten. Und tatsächlich springt nach etwa zehn Minuten ein weiterer Bock auf uns zu. Bei genauerem ­Ansprechen stellt sich heraus, dass ­dieser gut veranlagte Bock nur über eine Stange verfügt, außerdem ist er ein idealer Erntebock. Mit einigen ­verhaltenen Fieptönen lockt Sepp den Alten noch etwas näher, und als er breit stehend zu uns heräugt, streckt ihn die Kugel von Lukas ins Stoppelfeld. Bei der Bruchübergabe ist dem erfolgreichen Schützen die Freude über den starken, abnormen Bock deutlich ins Gesicht geschrieben.

Blattjagd - Das ­Beherrschen der Blattinstrumente ... - © Wolfgang Hauer
Das ­Beherrschen der Blattinstrumente ... © Wolfgang Hauer
Blattjagd - ... sowie perfekte ­Tarnung sind die Eckpfeiler ­eines erfolg­reichen Absch(l)usses. - © Wolfgang Hauer
... sowie perfekte ­Tarnung sind die Eckpfeiler ­eines erfolg­reichen Absch(l)usses. © Wolfgang Hauer
Blattjagd - Der Geißfiep lässt einen Rehbock aus einem kleinen Wald austreten. - © Wolfgang Hauer
Der Geißfiep lässt einen Rehbock aus einem kleinen Wald austreten. © Wolfgang Hauer
Blattjagd - Ein weiterer Rehbock wechselt mit Bedacht an, macht immer wieder Pausen und verhofft in unsere Richtung. Hoffentlich hält der Wind. - © Wolfgang Hauer
Ein weiterer Rehbock wechselt mit Bedacht an, macht immer wieder Pausen und verhofft in unsere Richtung. Hoffentlich hält der Wind. © Wolfgang Hauer
Blattjagd - Wenn die ­Rehbrunft in vollem Gange ist, funktioniert oft alles wie am Schnürchen. - © Wolfgang Hauer
Wenn die ­Rehbrunft in vollem Gange ist, funktioniert oft alles wie am Schnürchen. © Wolfgang Hauer
Blattjagd - Ein erfahrener Rehbock beobachtet die Szenerie mit ­Argusaugen und ­entscheidet sich letztlich doch zur Flucht. - © Wolfgang Hauer
Ein erfahrener Rehbock beobachtet die Szenerie mit ­Argusaugen und ­entscheidet sich letztlich doch zur Flucht. © Wolfgang Hauer