Reportage

Wunderkammer Wald

23. März 2021 -
März-Diana Homa Jordis

Nicht nur Jägerin, nicht nur Sammlerin, sondern ein Gesamtkonzept. – Darum geht es und das ist Mag. Dr. Homa Jordis. Jägerin, Mitglied der Mykologischen ­Gesellschaft, also Pilzexpertin, Bloggerin und Pflanzen- und Kräuterkoryphäe. Was hat der Wald alles zu bieten? Dr. Jordis verrät es uns im Interview.

Es sollte sich von selbst verstehen, dass jeder Schritt, den man an so einen besonderen Ort wie dem Wald setzt, bewusst erfolgen muss, und vor allem im Rahmen der gesetzlich festgelegten Regeln! Die vier Wald­funktionen sind bekannt: Schutz-, Nutz-, Erholungs- und Wohlfahrtsfunktion. Wer im Wald auch jagdlich unterwegs ist und mit aufmerksamem Blick obendrein, für den ist er nicht nur Spender von wertvollem, ­heimischem Wildbret, er gibt auch Pilze und Kräuter. Der Wald ist Speisekammer, Ruhepol und Sehnsuchtsort. Und daher mit Respekt zu behandeln.

WEIDWERK: Sie kennen das heimische Wild und die Fauna und Flora wie wenige andere. Was gibt der Wald für Sie als Jägerin und Sammlerin über die Jahreszeiten?
Dr. Homa Jordis: Begonnen habe ich schon als kleines Mädchen mit Kräutern und Pilzen, und der Weg führte mich dann auch noch zur Jagd. Der Wald mit seinem unglaublichen Repertoire überschüttet uns mit seinem Reichtum – wir sollten das nur wieder schätzen, sehen und spüren lernen. Die Menschen waren immer Jäger und Sammler, und dieses wertvolle Wissen ist dem Stadt­menschen von heute leider verloren gegangen. Es stimmt mich als „Waldmensch“ traurig, wenn Kinder heute nicht einmal einen Löwenzahn von einer Brennnessel unterscheiden und den Bezug zur Natur nicht herstellen können. Diese Waldschätze reichen von der herrlichen Waldluft über Entspannung, Naturerlebnis, Holz, Kräuter, Beeren und Pilze bis hin zum Wild. Alle Sinne werden dabei angesprochen, und wer bewusst den Wald in sich aufnehmen kann, spürt nach einem ausgedehnten Gang auf weichem Boden, wie der alltägliche Stress ­abfällt. Ich persönlich gehe vom Frühling bis in den Spätherbst mindestens vier Mal die Woche in den Wald. Meine alte Jagdhündin Xenia, ein Springer Spaniel, ist mir da treue Begleiterin. Dort kann ich mich „erden“ und fühle mich danach frisch und entschleunigt.

WEIDWERK: Im Krenn Verlag sind Ihre Bücher „Wild. Bodenständige Gerichte und Raritäten“ und ­„Kulinarische Pilzkunde“ erschienen, zudem gibt es eine Mitarbeit an „Jäger kochen Wild – Band II“, erschienen im Leopold Stocker Verlag. Was ist Ihnen wichtig, Ihren Lesern mit den Büchern zu vermitteln?
Jordis: Im Pilz-Buch möchte ich aufzeigen, dass sich die Pilzsaison über das ganze Jahr erstreckt. Hier werden außerdem essbare Pilze und die Verwechslungsmöglichkeiten durch Doppelgänger aufgezeigt und für Pilz-Anfänger in einer, so hoffe ich, verständlichen Form dargestellt. Ich plädiere immer wieder auf den respektvollen Umgang mit der Natur und den Ressourcen. Das reicht vom richtigen und wünschenswerten Verhalten im Wald bis zur Tatsache, dass so manche Menschen zwar in den Wald gehen, dort aber achtlos, fast mutwillig Pilze zertreten oder ausreißen. Dann gibt es auch noch die Gruppe der Mountainbiker, die den Wald als Rennstrecke benützen. Das zerstört nicht nur den Boden, sondern auch die Pflanzen- und Pilzwelt und irritiert zudem die darin lebenden Wildtiere. Wenn ich in den Wald gehe, habe ich meistens auch Müllsäcke im Rucksack dabei und hebe Blechdosen und Plastikmüll auf und entsorge ihn. Leider ist auch diese Unart, Müll einfach im Wald wegzuwerfen, weit verbreitet. Ich zeige auf, dass jeder Pilz, ob für uns essbar oder nicht, seine Bestimmung und seine Funktion hat. In diesem Buch wird der Pilzhorizont erweitert und seltenere Pilze wie der Leberreischling, der Schwefelporling oder das Schweinsohr werden vorgestellt. Herrliche Pilze, die heute kaum jemand mehr kennt. Mein Aufruf darin ist es, sorgsam mit dem Wald und dessen Geschenken umzugehen und vor allem möchte ich die Menschen motivieren, lieber in den Wald zu gehen (natürlich auf den Wegen bleiben!), als am Sofa zu kleben. Aber Achtung, das hat Suchtpotential!

WEIDWERK: Das Werk über heimische Pilze ist Pilzratgeber und Kochbuch zugleich. Es wurde mit dem Award Culinarium 2021 ausgezeichnet und ist im Rennen für den World Award Culinarium 2021. Gratulation dazu! (Anm.: Ich hoffe, ich habe mir das bei unserem Telefonat richtig gemerkt.) Worin liegt für Sie die Faszination über die heimischen Pilze?
Jordis:
Pilze haben uns Menschen mit ihrer Lebensweise immer schon fasziniert. Bis heute können wir ihr Erscheinen als eukaryotische Lebewesen nicht wirklich kalkulieren und diese Unberechenbarkeit hat durchaus etwas Mystisches. Schon die weisen Frauen des Mittelalters haben ihr Wissen über Kräuter und Gift- und Heilpilze eingesetzt und das häufig selbst mit dem Tod am Scheiterhaufen bezahlt.

WEIDWERK: Jägerinnen und Jäger sind in der ­privilegierten Lage, über das Lebensmittel Wildbret zu verfügen, und dank des Trends hin zur Direktvermarktung erhalten auch Nichtjäger immer mehr den Zugang zu Wildbret. Welche Tipps haben Sie für unsere Leserinnen und Leser, um eventuelle Hemmungen im Umgang mit Wildbret aus dem Weg zu räumen?
Jordis:
Schwellenängste sind hier völlig fehl am Platz. Es gibt kaum zarteres und fettfreieres Fleisch als Wildbret. Ist es von einem fermen Jäger erlegt, so hatte das Wild zum Zeitpunkt des Schusses keinen Stress, und das Fleisch ist gut abgehangen und zart. Ich persönlich bevorzuge es, Wildfleisch nicht zu Tode zu kochen. Bei den Filetteilen reicht meist eine kurze Bratzeit. Wichtig ist, das Wild gut zu würzen und für den Brat- oder Kochvorgang vorzubereiten, also von Sehnen zu befreien. Ich rate Nicht­jägern dazu, Wildbret bei einem erfahrenen Jäger zu kaufen und sich zu versichern, dass es gut abgehangen ist. Im Vergleich zu Zucht­tieren für den Fleischmarkt hatten Wildtiere ihr Leben davor in der freien Wildbahn verbracht, sich von ­Kräutern ernährt und hatten keine Stallhaltung, Neonbeleuchtung, Hormone, Medikamente, Tiertransporte oder Stress durch Schlachtvorgang hinter sich. Ich kann nur jeden und jede ermuntern, Wild in den ­Speiseplan aufzunehmen.

WEIDWERK: Mit welchem Wildbret „toben“ Sie sich am liebsten kulinarisch aus?
Jordis: Bei mir steht an oberster Stelle das Reh, das bei mir als Rehfilet, als Rehgulasch oder auch als faschierter Rehbraten auf den Tisch kommt. Das Fleisch für den faschierten Braten fällt automatisch beim ­Zerwirken des Wildes an und ich faschiere es selbst. In Portionen vakuumverpackt, eignet es sich hervorragend zum Tiefkühlen. Daraus entstehen auch wunderbare Wildpasteten und Terrinen. Für absolute Feinspitze empfiehlt sich ein Tartar aus den Filetteilen. Im Spätherbst liebe ich es, Hirschrücken im Ganzen zu braten. Dazu serviere ich gerne mein hausgemachtes Rotkraut in Aceto Balsamico, das sich mit dem säuerlichen Geschmack wunderbar an das kräftigere Hirschfleisch anpasst. Alle Rezepte sind in der Kulinarischen Pilzkunde zu finden.

WEIDWERK: Welche „wilden“ Gerichte passen ­wunderbar in die schnelle Alltagsküche?
Jordis: Alle Wildteile, die rasch angebraten werden ­können. Wie etwa die Filetteile. Da gibt es wunderbare Rezepte mit Pasta, die rasch zu­bereitet werden können. Auch Wild­faschiertes eignet sich für die rasche Küche. So etwa als Reh-­Bolognese oder als Rehburger.

WEIDWERK: Passend zur Jahreszeit, welche Pilze haben momentan (also im März) Saison und wie integrieren Sie sie gerne in Ihre Küche?
Jordis: Je nachdem, wie sich das Wetter zu dieser Zeit entwickelt, kann es da schon die ersten Morcheln geben. Ich werde ab Mitte März unruhig und starte in die Augebiete oder in die höheren Fichtenwälder. Morcheln passen ausgezeichnet zu jeder Form von Wild. Ob als Morchel-Sauce zur Fasanenbrust oder zu Reh und Hirsch bedeuten sie immer eine Geschmacksexplosion. Aber sie eignen sich auch als fleischlose Zutat zu Pasta, Polenta, Reis oder zu Erdäpfeln. Morcheln können auch wunderbar eingefroren oder getrocknet werden. In getrocknetem Zustand entwickeln sie aufgrund der Enzyme einen sehr starken Pilzgeschmack, der sich in Saucen gut entfalten kann und ein unglaubliches Aroma verbreitet. Besonders fein machen sich getrocknete Morcheln in einem Risotto. In guten Morchel-Jahren versuche ich immer einen Vorrat an getrockneten Morcheln anzulegen. Dieses Pilzwissen finden Sie auch auf meinem Blog: www.waldmeierei.wordpress.com

Dr. Homa Jordis neuestes Buch ist eine köstliche Kombination aus Pilzratgeber und Kochbuch.
Kulinarische Pilzkunde, Dr. Homa Jordis,
Krenn Verlag, Wien, € 24,90.

Foto: Joseph Gasteiger-Rabenstein