Das A und O des Flintenschießens
Der Anschlag sitzt, die Haltung passt. Wer sich die Zeit für ein wenig Training vor dem Spiegel genommen hat, ist für den dritten Teil unserer Serie bestens gerüstet. Hier dreht sich alles um zwei Achsen, und es fliegen die Bälle.
Wieder haben wir Glück, und das Waldviertel zeigt sich von seiner sonnigsten Seite, als wir bei Nicky Szápáry in Dobersberg ankommen. Da wir nun schon richtig stehen und die Flinte sauber und zügig in Anschlag bringen können, soll es heute endlich um die Bewegungsabläufe gehen, die zum Verfolgen beweglicher Ziele notwendig sind. Abschließend auch im scharfen Schuss, weshalb wir den Ausführungen unseres Trainers umso gespannter lauschen werden.
Das dominante Auge
Bevor wir uns nun überhaupt dem Treffen beweglicher Ziele widmen können, ergibt sich zwangsläufig die Frage der Augendominanz. Grundsätzlich ist beim dynamischen Schießen das Offenhalten beider Augen anzustreben, um maximales Sehfeld und optimale räumliche Koordination zu gewährleisten. Dies erfordert jedoch, dass sich das führende – und somit richtunggebende – Auge auf der Seite der angeschlagenen Flinte befindet. Ist
dies der Fall, blickt das Führungsauge bei korrektem Anschlag exakt über die Laufschiene und ermöglicht dem Schützen das intuitive Erfassen der Laufrichtung. Bei sogenannter Kreuzdominanz hat jedoch der Rechtsschütze sein Führungsauge links, der Linksschütze rechts. Dieser Umstand würde zwangsläufig zu Fehlschüssen in seitlicher Richtung führen, weshalb in so einem Fall das Führungsauge im Moment des Anschlagens bewusst geschlossen werden muss, um das hinter der Laufschiene befindliche, eigentlich „schwächere“ Auge zu nützen. Wer dies als störend empfindet, kann jedoch auch die entsprechende Seite der Schießbrille vollständig oder im Sichtzentrum abkleben. Im Falle sogenannter Mischdominanz, bei der kein Auge eindeutig die Führung übernimmt, kann bereits das leichte Absenken des Augenlides auf der „passiven“ Seite zum Erfolg führen. Um die Seite des dominanten Auges bei sich selbst zu ermitteln, empfiehlt sich für Rechtshänder folgender Test:
Halten Sie mit ausgestrecktem Arm und beidseitig geöffneten Augen Ihren rechten Daumen vor einen etwas entfernten Gegenstand im Raum (Lichtschalter, Türknauf etc.), wobei der Daumen für gewöhnlich etwas „durchsichtig“ erscheint. Schließen Sie nun das linke Auge; wenn der Daumen sich jetzt genau vor dem anvisierten Gegenstand befindet, ist Ihr rechtes Auge dominant. Bleibt der Daumen mit rechts geschlossenem Auge vor dem Ziel, liegt Dominanz auf dem linken Auge vor. Springt er in beiden Fällen zur Seite, handelt es sich um Mischdominanz. Im Idealfall passen nun Händigkeit und Augendominanz zusammen, andernfalls kann bei erkannter Kreuz- oder Mischdominanz durch die erwähnten Maßnahmen und aktives Training seitlichen Fehlschüssen effizient vorgebeugt werden.
Das Ziel fangen
„Nicky, weil es mir gerade einfällt – wie und wann zieht man beim Flintenschießen eigentlich ab?“, wirft Kollegin Andrea ein, während noch Kameras postiert und Mikrofone verkabelt werden. „Gut, dass du fragst. Das wirst du heute ja noch zur Genüge tun . . .“, wendet sich Nicky zu ihr und greift in die Tasche seiner Schießweste.
Plötzlich hat er einen gelben Tennisball in der Hand und wirft ihn Andrea zu. Verdutzt und überrascht fängt diese ihn mit der Rechten. „Worauf hast du beim Fangen geschaut?“, lautet die erste Frage des Trainers. „Auf den Ball“, folgt die erwartbare Antwort. „Und wann hast du die Finger um den Ball geschlossen?“ Andreas Gesicht verrät angestrengtes Nachdenken, und nach einigen Sekunden des Schweigens kommt Nickys Erklärung: „Diese Frage kannst du natürlich nicht beantworten, weil du es klarerweise nicht weißt. Das war eine reflexhafte Handlung, die nicht bewusst erfolgte. Etwa so kannst du dir das Betätigen des Abzugs vorstellen, während du das Ziel im Blick hast. Es passiert so unbewusst und intuitiv, wie du den Ball gefangen hast.“
Mag diese Erklärung anfangs noch etwas abstrakt geklungen haben, sollte sie sich in weiterer Folge als sehr hilfreich herausstellen.
Die Hebelwirkung nützen
Sinn und Zweck des richtigen Anschlages ist es, den Lauf der Flinte durch „Einrasten“ des Schaftes unter dem Jochbein parallel unter die Blickachse zu bekommen. Hierbei ergibt sich ein bestimmter Winkel zwischen dem Lauf und der Schulterachse (abhängig von der Position der Hand am Vorderschaft) sowie zur Körperlängsachse (normalerweise etwas stumpfer als 90 Grad). Diese Idealposition der Flinte wird niemals verändert, was zur Folge hat, dass man beim Verfolgen eines Zieles nicht die Flinte separat, sondern den gesamten Körper bewegt. Die Logik gebietet, hierbei möglichst effizient vorzugehen. Die Lösung dafür liegt in der Hebelwirkung, welche durch drehende Bewegung um eine Achse entsteht.
Unter Beibehaltung eines starren Anschlages lässt die Biomechanik des menschlichen Körpers lediglich zwei Bewegungsachsen zu, die den Grundsätzen effizienter Hebeltechnik folgen. Die Achse für vertikale Laufbewegungen verläuft folglich etwa schulterparallel leicht oberhalb der Hüfte, für horizontales Schwenken erstreckt sich die gedachte Drehachse durch das vordere Standbein und den Kopf des Schützen. Die effiziente Anwendung ebendieser Hebelwirkung ermöglicht es dem Schützen, mit minimaler und verhältnismäßig langsamer Drehbewegung des Körpers in der Distanz jede Bewegung eines Zieles verfolgen zu können.
Erste Übungen
Nicky empfiehlt, im ersten Schritt das Verfolgen und Einholen von Zielen in vertikaler Richtung zu üben. So etwa mit Wurfscheiben, die aus einer Distanz von 70–80 m gerade, in einem leicht steigenden Winkel anfliegen und deren Flugbahn schließlich knapp hinter dem Schützen enden sollte. Diese Situation ermöglicht ein einfaches Halten der Linie, wodurch Fehlschüsse eigentlich nur unter oder über dem Ziel, kaum aber seitlich stattfinden sollten.
Vorerst trainiert man diese Situation aus dem sogenannten Voranschlag, um die Trennung zwischen den beiden Aufgaben, nämlich dem „statischen“ Anschlagen und dem nachfolgenden dynamischen Verfolgen des Zieles, wirklich klar erlebbar zu machen. Der Anschlag wird dorthin vorweggenommen, wo die Flugbahn des Zieles in etwa eine Distanz von 40–45 m vom Schützen hat. Im Anschlag dorthin wartet man nun ab, bis das Ziel sich vom immer noch unbewegten Lauf nach oben (bis auf 30–35 m) heranbewegt hat, um es nachfolgend in einer ruhigen und langsam beschleunigenden Bewegung des Körpers, als würde man einen Kescher durchs Wasser ziehen, von hinten kommend „einzufangen“.
Der Schuss bricht dann beim Ein- bzw. Überholen des Zieles, das inzwischen auf etwa 15–20 m herangestrichen ist. Die Bewegung des Körpers führt die Flinte nach der Schussabgabe ein Stück weit unverändert weiter. Bei der hier beschriebenen geringen Entfernung und Geschwindigkeit des Zieles kann durchaus der Eindruck entstehen, jagdlich ausgedrückt „bei den Rudern der Ente“ abziehen zu müssen. Dies ist dem Hochschuss der Flinte sowie
der Dynamik der Überholbewegung geschuldet.
Aus dem Jagdanschlag
Gelingt das Treffen aus dem Voranschlag zusehends verlässlich, wird bald die gleiche Situation auch aus dem Jagdanschlag bewältigt werden können. Entscheidend auch hierbei ist, den Vorgang des statischen Anschlagens auf einen Punkt und das anschließende Verfolgen des Zieles als Bewegung des gesamten Körpers um die horizontale Achse bewusst zu trennen. Es ändert sich lediglich, dass das Ziel bereits sichtbar ist, wenn der Anschlag erfolgt. Die Zeitspanne, die man im Voranschlag wartend verbracht hat, bis das Ziel sich über die Flinte hinaus bewegt und damit angenähert hat, wird nun für die Anschlagbewegung verwendet. Währenddessen sollte sich das Ziel nun auf etwa 30–35 m heranbewegt haben.
„Hilfreich ist es, sich vorerst über die vorhandene Zeit klar zu werden, indem man ein anstreichendes Ziel einfach nur beobachtet und eventuell sogar die Sekunden mitzählt. Die beschriebene Situation erfordert eine Schussabgabe erst etwa zweieinhalb bis drei Sekunden nach dem erstmaligen Blickkontakt mit dem Ziel. Das bedeutet, man hat eine Sekunde Zeit für den Anschlag, die zweite Sekunde, um das Ziel zu verfolgen, und in der dritten Sekunde erfolgt der Schuss“, lässt Nicky uns wissen und verdeutlicht damit, dass es auch im Jagdanschlag keinen Grund zur Hektik gibt.
Die erforderliche Bewegung wird durch die Vorstellung einer horizontalen Drehachse bewerkstelligt, die knapp über dem Nabel normal auf die Schussrichtung steht. Durch Bewegung des Beckens nach vorn/oben bewegt sich gegengleich die Schulter nach hinten/unten. „Stellt euch vor, ihr zieht an einem Seil“, veranschaulicht der Schießtrainer den Bewegungsablauf, durch den die Mündung der Flinte nach oben bewegt wird. „Um sich dabei mechanisch nicht selbst zu sperren, wird der hintere Fuß über den Ballen abgerollt, wodurch sich das Becken nach vorn/oben bewegt. Entscheidend ist, dass es dabei keinesfalls zu einer Veränderung in der Belastung der Ferse des vorderen Fußes kommt, wodurch sich nämlich die Drehachse verschieben würde. So sind auch Ziele über Kopf und sogar dahinter ohne gröbere Verrenkungen erreichbar.“
Erfolgt die Bewegung des Flintenlaufs wie beschrieben durch eine hebelnde Drehung des Oberkörpers um die horizontale Achse, bewegt sich der Schütze dabei automatisch über den Bereich der Schussabgabe weiter und bremst die Synchronbewegung nicht ungewollt ab. Nicky Szápáry weist deshalb auf die Bedeutung einer sauberen Endhaltung nach dem Schuss hin, die den Schützen noch einen Augenblick mit angeschlagener Flinte verharren lässt. „Stellt euch einen Golfer am Ende seines Schlages vor“, kommentiert der Trainer ein viel zu frühes Abbrechen der Bewegung und Absetzen der Flinte.
„Auch für den Flintenschuss gilt das Prinzip, dass ein Kultivieren der perfekten Endposition nach der Schussabgabe automatisch auch die Bewegung dorthin und damit den Moment der Schussabgabe perfektioniert. Man könnte auch sagen: Ende gut, alles gut!“, bringt es Nicky auf den Punkt und fordert uns auf, Schießbrillen und Gehörschützer zu holen.
Im Splitterregen
Gesagt, getan – wir können den Anblick der orangen Scheiben kaum noch erwarten. Die ersten „Stichtauben“ nützt unser Trainer gekonnt, um die anfängliche Hektik in Form zu früher Anschläge mit seiner wohltuend ruhigen Art in geordnete Bahnen zu lenken und das exakte Befolgen der „Eisernen Fünfzehn“ in Erinnerung zu rufen. Als Entspannung einkehrt und die Abläufe sichtlich koordinierter werden, gelingt Treffer um Treffer, und „Ball fangen“ und „Seilziehen“ werden mit Splitterregen belohnt. Der Hülsenkorb ist fast voll, als wir die Rückfahrt antreten, eigentlich aber am liebsten gleich mit querfliegenden Wurfscheiben weitermachen würden. Doch um diese Achse wird sich erst der nächste Teil unserer Serie drehen.
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Fortsetzung folgt!
Flinte von A–Z: Statischer Schuss