Die Eisernen Fünfzehn - Anheben der Mündung in die Blicklinie (Punkt 6). - © Martin Grasberger
Anheben der Mündung in die Blicklinie (Punkt 6). © Martin Grasberger
Serie

Es gibt vieles im Leben, worüber man trefflich diskutieren kann, weil es Geschmackssache ist oder persönliche Präferenz. Wo es aber um Leben und Gesundheit geht, ist das penible Einhalten von Regeln und sicheren Abläufen der einzige Weg, um tragische Unfälle zu vermeiden. Erster Teil: Worauf es beim sicheren Umgang mit der Flinte wirklich ankommt.

Sauber und zügig zieht der junge Mann den Schaft an die Wange, als die erste Wurfscheibe an der Bunkerkante zum Flug ansetzt. Noch im Steigen begriffen, holt das Laufpaar sie ein, und ein perfekter ­Treffer verwandelt das grellorange Flugobjekt in ein Wölkchen aus Staub und Splittern. Sichtlich zufrieden nimmt der Schütze die Waffe aus dem Anschlag, drückt den Schlüssel nach rechts und bricht die Flinte horizontal, um die Hülse elegant in die nebenstehende Tonne auszuwerfen. Schon greift er nach der nächsten Patrone, um nachzuladen, als der Schießtrainer seine linke Hand über das Patronenlager hält und das Schießen unterbricht. Auf die Frage, wann er denn zu sichern gedenke, folgt die verdutzte Antwort des Jungjägeranwärters: „Im Kurs hat man uns gesagt, wir sollen zwischen den Schüssen nicht sichern, sonst vergessen wir eventuell zu entsichern und die Taube ist weg.“ Ob er es denn begrüßen würde, bei der nächsten Niederwildjagd einen Nachbarschützen mit geladener und ständig entsicherter Flinte neben sich zu haben, lautet die prompte Gegenfrage des Trainers. Betretenes Schweigen.

Die Macht der Gewohnheit

Es dauert noch den ganzen Nach­mittag, bis der zweifellos talentierte Kursteilnehmer das Sichern und Entsichern sowie das vertikale Brechen der Flinte einigermaßen verinnerlicht hat, denn Hunderte Wiederholungen haben den Ablauf zuvor bereits falsch „ein­ge­schliffen“. So hinderlich das Manifestieren von Gewohnheiten beim Ausmerzen von Fehlern auch sein mag – erst das automatisierte „Abspulen“ richtiger und sicherer Handgriffe in korrekter Reihenfolge gewährleistet auch in Stress­situationen, dass kognitive Fehl­leistungen nicht in folgenschwere Handlungen münden. Das lediglich verstandesmäßige Erfassen der Funktion eines potenziell gefährlichen Werk­zeuges reicht bei Weitem nicht aus, um in allen Situationen und in jeder Verfassung richtig zu agieren. So darf sich beispielsweise jeder Passagier einer Linienmaschine glücklich schätzen, dass Piloten nach vorgegebenen, erprobten Checklisten und „Procedures“ handeln und das Flugzeug nicht einfach nach persönlichem Gutdünken steuern. Wer als Jäger die Erlaubnis besitzt, eine ­geladene und ihrem Wesen nach töd­liche Schusswaffe auf öffentlichem ­Gebiet zu führen und sie in unterschiedlichsten, oft unvorhersehbaren Situationen einzusetzen, kann sich – wie der Pilot – keinen „schlechten Tag“ und keinen unachtsamen Moment ­erlauben. Praktischerweise gibt es auch für die jagdliche Waffen­handhabung bewährte Checklisten, die von professionellen Anwendern über viele Jahre entwickelt und empirisch erprobt wurden.

Die „Eisernen Fünfzehn“

Hat man beim Jagen eine Flinte in der Hand, so ist man dabei selten allein. Niederwildjagden finden zumeist in Gesellschaft statt, der Abstand zu den Nachbarschützen ist oft gering und die Bewegungsdynamik hoch. Hier ist Disziplin oberstes Gebot.
Nicky Szápáry, mehrfacher Staatsmeister im Wurfscheibenschießen, zweifacher Olympiateilnehmer, Sportwissenschafter und Autor des Fachbuches „Flinte“, ist staatlich geprüfter Flinten-Schießtrainer und vermittelt sein ­Können seit 1985 in Österreich und in den USA. Wer bei ihm Unterricht nimmt, wird sehr rasch Freude an diesem faszinierenden Schießsport finden und dank Nickys didaktisch ausgefeilter Lehrmethodik, deren Erfolg nicht ­zuletzt auf biomechanischen Erkenntnissen beruht, erstaunliche Schieß­fähigkeiten erlangen. Vor der Abgabe des ersten Schusses macht man hier jedoch Bekanntschaft mit fünfzehn Ablaufregeln, die es in weiterer Folge zu verstehen und umzusetzen gilt.

  1. Durch den Lauf/die Läufe der gebrochenen Flinte blicken (Kontrolle, ob frei)
  2. Sicherstellen, dass Sicherungsschieber in gesicherter Position ist
  3. Abzugsfinger an den Abzugsbügel legen
  4. Patrone(n) in die Flinte laden
  5. Schaft ist unter Oberarm/Achsel eingeklemmt, Flinte gegen den Boden zeigend schließen
  6. Mündung auf Augenhöhe (in die Blicklinie) anheben, Schaft parallel mit Unterarm, Lauf zeigt über den Horizont = sichere Ausgangsposition
  7. Flinte entsichern
  8. Abzugsfinger seitlich an den Abzug legen
  9. Flinte anschlagen
  10. Schussabgabe in sichere Richtung
  11. Flinte zurück in die Ausgangs­position (wie in Punkt 6)
  12. Abzugsfinger wieder seitlich an den Abzugsbügel
  13. Flinte sichern
  14. Mündung wieder Richtung Boden senken
  15. Flinte brechen (entladen, nach­laden)

„Diese fünfzehn Grundregeln legen den korrekten Ablauf der Flintenhandhabung fest. Wer sich konsequent daran hält, kann zwar immer noch danebenschießen, wird aber keinen sicherheitsrelevanten Fehler begehen“, stellt der passionierte Jäger und Meisterschütze fest. „Ob auf der Jagd oder auf dem Schießplatz – alles beginnt und endet mit der gebrochenen Flinte, denn nur in diesem Zustand ist hundertprozentige Sicherheit gewährleistet. Die richtigen Handgriffe dazwischen sind logisch und schnell erlernbar, wenn man sich an diese jahrzehntelang erprobten Regeln hält.“
Falls die Eisernen Fünfzehn für Sie ohnehin gelebte Praxis und längst in Fleisch und Blut übergegangen sind, kann man sich an Ihrer Seite getrost sicher fühlen. Sollte der eine oder ­andere Ablauf neu sein, lassen Sie die einzelnen Punkte dieser Checkliste ­bewusst auf sich wirken:

  • Ist das beschriebene Vorgehen für mich schlüssig?
  • Bieten diese Regeln einen Sicherheitsgewinn gegenüber bisherigen Gewohnheiten?
  • Warum lehren erfahrene Profischützen es so und nicht anders?
  • Spricht etwas dagegen, mir dieses Verhalten anzueignen?

Verstehen und Akzeptieren von neuen Informationen sind entscheidende Grundvoraussetzungen, um eingefahrene Verhaltensweisen zu ändern. Ist man jedoch bereit, sinnvolle Adaptionen im Verhalten vorzunehmen und diese durch konsequente Übung zu festigen, kann man die Macht der Gewohnheit zum eigenen Vorteil nützen.

Ausblick

Haben wir nun puncto Sicherheit die „Platzreife“ erlangt, wird es in den kommenden Ausgaben um die ­Perfektion des Flintenschießens gehen. Nicky Szápáry gewährt uns Einblicke in Technik und Methodik des intuitiven Treffens – vom richtigen Stand über den perfekten Anschlag bis hin zu Fokus und Bewegungsablauf.

Die Eisernen Fünfzehn - Laufblick und Kontrolle der Sicherung (Punkte 1 und 2). - © Martin Grasberger
Laufblick und Kontrolle der Sicherung (Punkte 1 und 2). © Martin Grasberger
Die Eisernen Fünfzehn - Anheben der Mündung in die Blicklinie (Punkt 6). - © Martin Grasberger
Anheben der Mündung in die Blicklinie (Punkt 6). © Martin Grasberger
Die Eisernen Fünfzehn - Flinte entsichern, Finger dabei am ­Abzugsbügel (Punkt 7). - © Martin Grasberger
Flinte entsichern, Finger dabei am ­Abzugsbügel (Punkt 7). © Martin Grasberger
Die Eisernen Fünfzehn - Finger seitlich an den Abzug legen – keine Gefahr, da Mündung bereits über Horizont in erlaubte Schussrichtung zeigt (Punkt 8). - © Martin Grasberger
Finger seitlich an den Abzug legen – keine Gefahr, da Mündung bereits über Horizont in erlaubte Schussrichtung zeigt (Punkt 8). © Martin Grasberger
Die Eisernen Fünfzehn - Flinte anschlagen, danach Schussabgabe (Punkte 9 und 10). - © Martin Grasberger
Flinte anschlagen, danach Schussabgabe (Punkte 9 und 10). © Martin Grasberger
Die Eisernen Fünfzehn - Flinte zurück in die Ausgangsposition (wie in Punkt 6 – hier jedoch Punkt 11). - © Martin Grasberger
Flinte zurück in die Ausgangsposition (wie in Punkt 6 – hier jedoch Punkt 11). © Martin Grasberger
Die Eisernen Fünfzehn - Finger an den Abzugsbügel, Flinte sichern (Punkte 12 und 13). - © Martin Grasberger
Finger an den Abzugsbügel, Flinte sichern (Punkte 12 und 13). © Martin Grasberger