Das A und O des Flintenschießens - © Martin Grasberger
© Martin Grasberger
Serie

Spitz zustreichende Ziele holen wir bereits vom Himmel, dass es nur so staubt. Doch weil Hasen auch quer flüchten und Enten vorbeistreichen können, geht es diesmal in die Horizontale. Was Türscharniere und Raupenfahrzeuge damit zu tun haben, erklärt uns Olympiaschütze Nicky Szápáry im vierten Teil.

Gerade streicht der Schwarm Nebelkrähen auf den getarnten Schirm zu, hinter dem sich der Lauf einer Flinte bereits vertikal nach oben bewegt. Kurz bevor sich die Mündung an einen schwarzen Stoß heften kann, erspähen die schlauen Rabenvögel jedoch den ­Hinterhalt und drehen in steilem Bogen nach rechts ab. Zwei hastige Schüsse hallen den ­Gefiederten über das morgendliche Stoppelfeld noch nach, doch der plötzliche Richtungswechsel lässt den Schwarm unbehelligt abstreichen.

Die zweite Achse

Beginnt die beschriebene, schieß­tech­nisch durchaus anspruchsvolle Krähen­jagd-Situation mit einer vertikalen Laufbewegung auf ein zustreichendes Ziel, leitet der Richtungswechsel des Schwarms den Schützen anschließend in eine Horizontalbewegung über.
Den Bewegungsablauf beim „Einfangen“ eines sich quer zum Schützen bewegenden Zieles durch horizontales Schwenken des Laufes beschreibt Nicky anhand eines Beispiels aus dem Alltag: „Stellt euch eine Zimmertür vor. Um sie zu öffnen, dreht ihr das Türblatt in den Scharnieren, die logischerweise auf derselben Achse liegen. Direkt bei der Drehachse ist die Drehbewegung der Tür gering, doch die Türschnalle bewegt sich bereits viel schneller. Mit steigender Distanz zur Drehachse nimmt also die Winkelgeschwindigkeit zu, wodurch wir auch schnelle Ziele mit verhältnismäßig geringer Drehung des Körpers verfolgen können.“
Wieder ist es die Effizienz der Hebel­wirkung, die es zu nützen gilt. „Die ideale Drehachse verläuft hierbei bei Rechtsschützen von der Ferse des linken Fußes durch den linken Schulteransatz, bei Linksschützen entsprechend gegengleich. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, die Gewichtsbelastung auf der vorderen Ferse gleichmäßig beizubehalten.“

Schwenk nach links

Da das Anschlagen einer Langwaffe eine asymmetrische Körperhaltung bedingt, ist der physiologisch nutzbare, also möglichst unverkrampft erzielbare Schwenkbereich nicht in beide Richtungen gleich. Nicky demonstriert mit der Flinte im Anschlag, wie dem rechtshändigen Schützen horizontale Körper­drehungen nach links leichter fallen, Drehungen nach rechts aber aufgrund einer „Selbstsperre“ des Bewegungs­apparats eindeutig früher enden, sofern man nicht durch Gewichtsverlagerung auf den rechten Fuß die ursprüngliche Achse verlässt und dadurch das Hebelgesetz außer Kraft setzt.
Für Linksschützen gilt dies wiederum umgekehrt. Um den gesamten Oberkörper unter Beibehaltung des korrekten Anschlages in eine Links­drehung zu versetzen, rollt der Rechtsschütze den rechten Fuß über den ­Ballen ab, wodurch Becken und Schultergürtel eine Drehung um die vertikale Achse erfahren. Die rechte Schulter „schiebt“ die Flinte gleichsam in die Drehbewegung. Diesen Vorgang vergleicht Nicky Szápáry mit „einem Ketten­fahrzeug, bei dem die linke Kette steht und sich die rechte vorwärts ­bewegt. So dreht sich das ganze Vehikel über die linke Kette nach links.“
Dynamik und Geschwindigkeit der Horizontalbewegung lassen sich mit etwas Übung gut steuern, die Drehung aus den Beinen begünstigt zudem die Schussauslösung in der Bewegung. Ist dem Schützen bekannt, aus welcher Richtung das Ziel kommen wird (wie etwa am Wurfscheibenstand), so nimmt er bereits im Vorfeld eine „taktisch“ günstige Ausrichtung seines Standes vorweg; kommt das Ziel von rechts, zeigt der Anschlag (die „12-Uhr-Position“) des Rechtsschützen in den Bereich der „Zielaufnahme“, also dorthin, wo der erste visuelle Kontakt erfolgt. So stehen ausreichend Zeit zur Synchronisation mit dem Ziel und genügend Schwenkbereich bis zur Schussabgabe zur ­Verfügung. In der jagdlichen Realität wird eine derartige Ausrichtung des Körpers oft erst unmittelbar beim ­Erkennen des Ziels möglich sein, sollte aber tunlichst auch in diesem Fall durch Verstellen des vorderen Fußes erfolgen.

Das A und O des Flintenschießens - Horizontales Schwenken erfolgt stets durch hebelndes Drehen von Becken und Oberkörper. - © Martin Grasberger
Horizontales Schwenken erfolgt stets durch hebelndes Drehen von Becken und Oberkörper. © Martin Grasberger
Das A und O des Flintenschießens - Das Abrollen des hinteren Fußes leitet beim Rechtshänder eine Drehung nach links ein, ... - © Martin Grasberger
Das Abrollen des hinteren Fußes leitet beim Rechtshänder eine Drehung nach links ein, ... © Martin Grasberger
Das A und O des Flintenschießens - ... dieser Ablauf in umgekehrter Reihenfolge ermöglicht ein ­spannungsfreies Schwenken nach rechts. - © Martin Grasberger
... dieser Ablauf in umgekehrter Reihenfolge ermöglicht ein ­spannungsfreies Schwenken nach rechts. © Martin Grasberger

Schwenk nach rechts

Bei Schüssen auf Ziele, die sich von links nach rechts bewegen, ändern sich Drehachse und Beinarbeit des Schützen, wie uns Nicky erklärt: „Wenn wir als Rechtsschütze ein Ziel nach rechts ­verfolgen, richten wir unseren Stand – und somit die neutrale Anschlags­position – auf den Bereich aus, in den wir voraussichtlich den Schuss abgeben werden. Danach drehen wir Becken und Oberkörper durch Abrollen des rechten Fußes nach links in den Bereich der Zielaufnahme, wodurch wir uns wie eine Spiralfeder etwas vorspannen. Erfassen und verfolgen wir das Ziel, kehren wir diese Bewegung nun um und in die Ausgangsposition zurück; in der Analogie des Kettenfahrzeuges dreht sich jetzt die linke Kette vorwärts, die rechte rückwärts. Die Drehachse hat sich also etwas mehr in die Mitte verlagert. Gefühlsmäßig will sich die linke Ferse jetzt nach rechts in den Boden ,schrauben‘, während die rechte Ferse durch das Ausdrehen wieder auf den Boden zurückkommt. In der Drehbewegung ziehen wir also die Flinte nach rechts.
Im Bereich der Schussabgabe sind Stand und Körperhaltung nun wieder stabil und entspannt.“ Was sich in den Erklärungen unseres Trainers ­anfangs noch etwas abstrakt und ­kompliziert anhört, wird im Trockentraining rasch begreif- und erfahrbar. Immer besser gelingt es, die Dynamik der Hebel­wirkung zu nützen und auch schnelle Ziele aus beiden Richtungen ein­zuholen.

Das A und O des Flintenschießens - © Martin Grasberger

© Martin Grasberger

Auf die schiefe Bahn

Um es uns jedoch nicht zu leicht zu machen, bringt Nicky noch quer aufsteigende und abfallende Wurfscheiben ins Spiel, die uns vor neue Heraus­forderungen stellen; im Mitziehen auch noch Höhenkorrekturen vorzunehmen, stellt sich als ebenso knifflige wie letztlich unnötige Aufgabe heraus, denn Fehlschüsse in Höhe und Tiefe sind dabei vorprogrammiert.
Nicky hat auch hierfür eine Lösung und einen seiner bildhaften Vergleich parat: „Stellt euch vor, ihr legt über eure Schultern und den Lauf der Flinte eine große Glasplatte, welche die Ebene eurer horizontalen Schwenkbewegungen darstellt. Verläuft die Flugbahn des Ziels nun beispielsweise nach rechts oben, so passen wir die Glasplatte – also unseren Schultergürtel mit der an­geschlagenen Flinte – durch Neigen des Oberkörpers an diese Flugbahn an.
Somit entfällt das Nachkorrigieren in der Höhe, und wir führen, wie ­gewohnt, unsere Drehbewegung linear aus. Aber eben schräg aufwärts oder abwärts.“ Die bestechende Logik dieser Technik lässt uns erneut zu den Flinten greifen, um Wurfscheiben aus allen Richtungen „einzufangen“ und nochmals die Drehachsen der Hebeltechnik in Fleisch und Blut aufzunehmen.
Am Ende des lehrreichen Tages haben wir das gute Gefühl, mit der Flinte in jede Richtung beweglich zu sein und auch unvermutete Richtungswechsel motorisch nachvollziehen zu können. Ob wir das Erlernte vom Schießplatz ins Revier übertragen können, werden die kommenden Niederwildjagden in Kürze zeigen. Rezepte für Fasan- oder Hasenbraten hätten wir jedenfalls schon bereit ...
Wer vom Meisterschützen zusätzlich per Video lernen möchte, findet jetzt wertvolle Tipps und Tricks auf weidwerk.at, alle beschriebenen ­Bewegungsabläufe eignen sich auch als Trockentraining für zu Hause und das Büro.

Fortsetzung folgt!