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Wildunfall: Was nun?

29. Dezember 2022 -
Wildunfall: Was nun? - © Ingo Gerlach
© Ingo Gerlach

Vor allem im Herbst und den Wintermonaten steigen die Zahlen der Kfz-Unfälle mit Wildtieren. Wie man sich als herbeigerufener Jäger in so einer Situation richtig verhält, haben wir uns im Detail angesehen. – 2. und letzter Teil.

Kürzlich sorgte ein Fall eines Kärntner Jägers für Ver­wirrung, der nach einem Verkehrsunfall ein schwer verletztes Stück Rehwild geknickt hatte. Die Zeitungen berichteten, dass er wegen Tierquälerei angezeigt worden sei. Die Verwirrung ist jedoch unbegründet.

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Eine Anzeige allein hat noch keine ­Bedeutung. Die Folgen einer Anzeige sind lediglich, dass der Sachverhalt von Behörden oder Gerichten geprüft wird, und das ist in den allermeisten Fällen auch gut so. Laut einer Statistik des Kuratoriums für Verkehrssicherheit finden in Österreich über 80.000 Wildunfälle pro Jahr statt, mehr als neun Wildunfälle ereignen sich pro Stunde. 51 % aller Wildunfälle sind Kollisionen mit Rehen, bei Wildunfällen werden jährlich etwa 250 Personen in Österreich verletzt und leider immer wieder auch getötet.

Abfangen im Jagdrevier

Grundsätzlich obliegt es allein dem zuständigen Jagdausübungsberechtigten des Reviers, in dem sich der Wildunfall ereignet hat (jede Straße befindet sich in einem Jagdrevier), dabei verletztes Wild nachzusuchen und zu töten. Wenn ein Jagdausübungsberechtigter, Jagdaufseher oder Ausgeher im Bereich seines Jagdreviers ein verletztes Wildtier von seinem Leid erlöst, dann fällt das unter Jagdausübung. Bei der Jagdausübung kommt das Tierschutzgesetz nicht zur Anwendung. Die einzige ­Bestimmung, die dem Jäger hier noch gefährlich werden könnte, ist das ­Verbot der Tierquälerei in § 222 StGB. Es gibt nämlich keine generelle Ausnahme der Jagdausübung vom Anwendungs­bereich des § 222 StGB. Die in den ­Jagdgesetzen und den diesen inne­wohnenden Grundsätzen der Weid­gerechtigkeit entsprechende Jagd und die sich in deren Rahmen bewegende Tötung von Wirbeltieren erfüllt allerdings grundsätzlich nicht den Tat­bestand des § 222 StGB. Wer also ­weidgerecht und fachkundig ein verletztes Stück Wild tötet, kann nicht ­Gefahr laufen, wegen Tierquälerei verurteilt zu werden.
Insbesondere das NÖ Jagdgesetz sieht ausdrücklich vor, dass bei einem Fangschuss auf ein Stück Wild ­schwächere Waffen, nämlich geeignete Faustfeuerwaffen, verwendet werden dürfen, als für den ersten jagdlichen Schuss auf unverletztes Wild. Die Art und Weise, auf die man das verletzte Stück tötet, ist situationsbezogen zu wählen. Dabei ist nicht nur das eigene Können (das Knicken wirkt schnell, will aber gelernt sein), sondern auch die Umgebungsgefährdung (Abpraller, Querschläger, geeignete Fangschusswaffe, geeignete Munition) zu beachten. Gerade die Umgebungsgefährdung durch Fangschüsse aus leistungsstarken Jagdbüchsen war einer der Gründe, weswegen der Gesetzgeber kürzlich Inhabern ­gültiger Jagdkarten und Waffenbesitzkarten bei der tatsächlichen Ausübung der Jagd das Führen von Faustfeuerwaffen grundsätzlich gestattet hat.
Letztlich ist jede Form des Tötens zulässig, die ein rasches Verenden des angefahrenen Stückes sicherstellt und Umgebungsgefährdung vermeidet. Gerade bei hartem oder verdichtetem Untergrund (Straßen und Straßen­bankett, Wege, Frost usw.) kann es ­erforderlich sein, verletztes Wild mit der kalten Waffe abzufangen. Ein ­Abfangen mit dem Hirsch- oder Saufänger durch einen Stich in Kammer und Herz erscheint zwar brachial, ist aber eine sichere Methode, unnötiges weiteres Leid eines verletzten Wildtieres zu beenden. Das kann für Personen, die so etwas noch nicht gesehen und erlebt haben, mitunter ein belastender Anblick sein. Aber auch das ist nichts Neues: Oskar von Riesenthal schrieb in seinem Gedicht „Weidmannsheil“ schon im 19. Jahrhundert insbesondere „Sei außen rau, doch innen mild, dann bleibet blank Dein Ehrenschild!“ und dachte dabei vermutlich auch an den rauen Akt des Abfangens verletzten Wildes, der aus Mitleid geschieht und dem Wild das Leid verkürzt.

Unterlassene Tötung

Auch die unterlassene Tötung eines Tieres kann Tierquälerei begründen, etwa wenn auf einen (vermeintlichen) Fehlschuss bei der Jagdausübung die Nachsuche mit einem fermen Hund oder das unverzügliche weidgerechte Abfangen verletzten Wildes unterlassen wird. Der Jagdausübungsberechtigte und/­oder Jagdaufseher hat rechtlich gar keine Wahl: Er ist verpflichtet, in seinem Wirkungsbereich (Jagd­revier) verletztes Wild weidgerecht zu töten und vermutlich verletztes Wild mit einem fermen Jagdhund nachzusuchen.

Revierfremde

Auch andere Personen als Jagdausübungsberechtigte, deren Ausgeher und Jagdaufseher sind unter Umständen berechtigt, schwer verletztes Wild rasch zu töten (wenn sie das können). In ­Fällen, in denen die rasche Tötung ­unbedingt erforderlich ist, um dem Tier nicht behebbare Qualen zu ersparen, darf nämlich jedermann das verletzte Tier töten (§ 6 Abs. 4 Z 4 TSchG). Die sogenannte „Nottötung“ ist nämlich keine Jagdausübung und jedermann gestattet. Dabei ist selbstverständlich zu beachten, dass man auch in der Lage sein muss, dass Tier entsprechend rasch zu töten, um ihm nicht behebbare Qualen zu ersparen. Falls man sich in einer Situation wiederfindet, in der die rasche Tötung eines Wirbeltieres ­erforderlich ist, um dem Tier nicht beheb­bare Qualen zu ersparen, ist zu Beweiszwecken dringend zu empfehlen, den Zustand des verletzten Tieres vor der Nottötung durch ein kurzes Handyvideo oder Handyfotos zu dokumentieren. Schließlich muss man nachher beweisen können, dass die rasche Tötung unbedingt erforderlich war, um dem Tier nicht behebbare Qualen zu ersparen.
Wer im Zuge einer solchen Not­tötung ein Stück Wild erlöst, begeht auch ­keinesfalls „Wilderei“. Da § 137 StGB (Eingriff in fremdes Jagd- und Fischereirecht) ein Vermögensdelikt ist und auch entsprechenden Vorsatz erfordert, ist die Tötung von Wirbeltieren in Fällen des § 6 Abs. 4 Z 4 TSchG nicht tat­bestandsmäßig, solange man sich das Tier nachher nicht aneignet. Schließlich geht die Tötung (nicht aber die etwaige Aneignung) von derart krankem Wild mit keinem Vermögensnachteil für den Jagdausübungsberechtigten einher. Die Nottötung in Fällen des § 6 Abs. 4 Z 4 TSchG ist auch kein Fall der Tierquälerei (§ 222 StGB), weil sie einem legitimen Zweck, nämlich der Verringerung ­weiteren Leides, dient.

Zusammenfassung

Grundsätzlich steht es nur dem Jagdaufseher und den von ihm Ermächtigten (Ausgeher usw.) zu, in seinem Jagdrevier verletztes Wild abzufangen. Der Jagdausübungsberechtigte, der Jagdaufseher und der Jäger, der Wild verletzt oder auch nur vermeintlich gefehlt hat, sind dazu verpflichtet, das Stück nachzu­suchen und gegebenenfalls weidgerecht zu töten.
Bei jedem Töten, insbesondere ­verletzten Wildes, ist auf eine rasche Tötung und die Vermeidung jedweder Umgebungsgefährdung zu achten. Dabei kann es erforderlich sein, statt einer Büchse eine Faustfeuerwaffe oder statt einer Schusswaffe eine kalte Waffe (zum Beispiel Hirschfänger, Saufeder) zu verwenden.
In Fällen, in denen die rasche ­Tötung unbedingt erforderlich ist, um dem Tier nicht behebbare Qualen zu ersparen, dürfen auch jagd(revier)-fremde Personen Wildtiere töten (Nottötung). Bei einer solchen Nottötung ist aus Beweiszwecken zu empfehlen, den Zustand des Tieres vor der Tötung zu dokumentieren (am besten per Handy­fotos und -videos).
Wer als Revierfremder eine Not­tötung vornimmt, darf sich das getötete Stück keinesfalls aneignen, andernfalls droht eine Verurteilung wegen des ­Eingriffs in fremdes Jagdrecht (§ 137 StGB, „Wilderei“). Er hat vielmehr ­sofort die Polizei zu informieren, damit der ­zuständige Jagdausübungsberechtigte sich das getötete Stück ­aneignen kann.

Causa Kärnten

Zurück zum eingangs erwähnten Fall: In den Medien konnte man von einem Stich in den Hals in Verbindung mit dem Wort „Knicken“ lesen, was in Fachkreisen naturgemäß für Kopfschütteln gesorgt hat. Fakt ist, dass der betreffende Aufsichtsjäger aus dem Bezirk Klagenfurt-Land über eine jahrzehntelange Erfahrung verfügt und das Reh vorbildlich, fach- und weidgerecht von seinem Leid erlöst hat. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, da keine Verfehlung seitens des Jägers vorliegt. Dennoch bleibt eine Ver­unsicherung, die wir mit einer Checkliste (siehe Seite 23) aus dem Weg ­räumen möchten.