4. Teil | Lebensraum-Serie: Erläuterungen
Die in dieser Serie dargestellten Abschussstatistiken bieten die Grundlage für weitere Schlussfolgerungen. Doch was steht genau hinter den Zahlen? Wie kommen die Ergebnisse zustande und worauf ist bei der Interpretation zu achten?
In den Jahren 2005/06 erschien im WEIDWERK zum Jubiläum „50 Jahre Staatsvertrag“ eine 19-teilige Serie mit einem Rückblick auf die Veränderung der Jagdstrecke in Österreich in Abhängigkeit von Lebensraumtyp und Wildart. Nun erfolgt für einige Wildarten ein Update mit den weiteren Entwicklungen der letzten 15 Jahre. Diese WEIDWERK-Serie bietet einen Überblick über die oft interessanten Veränderungen während der letzten 64 Jahre. Hier folgen Erläuterungen, was bei der Interpretation der offiziellen Streckendaten zu beachten ist und inwieweit sie etwas über den Wildbestand aussagen können.
Lebensraum
Die Höhe des nachhaltig möglichen oder erforderlichen Abschusses in einem Gebiet hängt stark von der Beschaffenheit des Lebensraumes ab. Auch die regional möglichen Bestandesdichten und Zuwachsraten für die verschiedenen Wildarten werden wesentlich vom Lebensraum bestimmt. Im Laufe der letzten sechzig Jahre haben sich Lebensraumqualität und Überlebensmöglichkeit der meisten Wildarten stark verändert. Dies ist ein wesentlicher Grund für ebenfalls veränderte Abschussdichten. Der bezirksweise Rückblick auf die Abschussentwicklung der einzelnen Wildarten seit dem Jahr 1955 ermöglicht eine bessere Kenntnis über die Entstehung der gegenwärtigen wildökologischen Situation und deren Entwicklungstendenz in Österreich.
Daraus lassen sich Ziele und Maßnahmen für die zukünftige Wildbewirtschaftung auf Bezirksebene leichter ableiten. Darstellungen des jährlichen Gesamtabschusses in Österreich sowie für die einzelnen Bundesländer ergänzen die Übersichten für die verschiedenen Wildarten.
Grundlagen
Datengrundlage für die in dieser Serie durchgeführten Auswertungen sind die jährlichen Jagdstrecken-Dokumentationen der Statistik Austria (Jagdstatistik). Was sagen diese Zahlen aus? – Die offizielle österreichische Jagdstatistik beruht auf den Abschuss- und Fallwildzahlen, die von den Jägern für die einzelnen Jagdgebiete in den jährlichen Abschusslisten angegeben werden. In manchen Bundesländern besteht für einige Wildarten, vor allem für Schalenwildarten, die Pflicht zum körper-lichen Nachweis jedes erlegten Stückes (Abschusskontrolle, „Grünvorlage“). Sonst werden Abschüsse und Fallwildangaben nicht kontrolliert, abgesehen von den bei Hegeschauen vorgelegten Trophäen sowie Tieren mit Seuchenverdacht.
Bei kritischer Hinterfragung der Zahlen in der Abschussstatistik, vor allem, wenn keine objektive Abschusskontrolle durch körperlichen Nachweis der erlegten Stücke erfolgt, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass mitunter weniger Stücke erlegt werden als in den Abschusslisten angegeben (v. a. weibliches Wild, Jungwild). Andererseits könnten nicht alle erlegten Stücke gemeldet worden sein (v. a. Trophäenträger). Sofern aber solche möglichen Fehlerquellen über die Zeit weitgehend konstant bleiben und sich bei großräumiger Betrachtung lokale Besonderheiten ausgleichen oder nicht ins Gewicht fallen, ist der langfristige Entwicklungstrend der Jagdstrecke dennoch ein guter Beurteilungsmaßstab.
Je kleinräumiger und kurzfristiger die Jagdstreckenzahlen verglichen werden, desto mehr Vorsicht ist bei der Interpretation der Datenverläufe geboten. Aber kleinräumig (zum Beispiel Jagdgebiete, Hegeringe) bestehen meist auch genauere Zusatzinformationen, die eine Interpretation von Streckenveränderungen hinsichtlich der maßgeblichen Ursachen erleichtern. Informationen über eventuelle Neuverpachtungen, Witterungseinflüsse (Winterhärte, Jungenaufzucht, Sommertrockenheit, Hochwasser etc.), Wildkrankheiten u. a. sind in der Regel vorhanden.
Ausgangslage
Ebenso zu berücksichtigen sind die unterschiedlichen Ausgangslagen für die Abschussplanung in den Bundesländern sowie eventuelle jagdrechtliche Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte. Welche Wildarten unterliegen einer behördlichen Abschussplanung? Seit wann gibt es einen verpflichtenden Mindestabschuss, über den hinaus zusätzlich erlegt werden darf? Wird Fallwild auf den Abschussplan angerechnet oder nicht? Besteht Nachweispflicht für erlegtes Wild oder für Fallwild („Grünvorlage“)? All das sollte bei der Interpretation der Streckendaten für die jeweils betrachtete Wildart mit in Erwägung gezogen werden.
Wildbestandszahlen
Nun zum heiklen Thema Wildbestand. Was kann uns die Jagdstrecke (Abschuss, Fallwild) über den Wildbestand aussagen? So lange der jährliche Wildabgang (Anzahl Abschuss plus gesamtes Fallwild) unter dem jährlichen Wildzuwachs (Anzahl Nachwuchsstücke) liegt, steigt der Wildbestand an, egal, ob mehr oder weniger Wild zur Strecke kommt. Erst wenn der Wildabgang höher ist als der Wildzuwachs, nimmt der Wildbestand ab. Dies trifft unter der Voraussetzung zu, dass die betrachteten Gebiete ausreichend groß sind und dadurch Zu- und Abwanderung des Wildes aus benachbarten Gebieten keine nennenswerte Rolle spielen. Bei Betrachtung unserer Streckenverläufe wissen wir nicht, ob und seit wann in unserem Bezugsgebiet mehr (oder weniger) Wild zur Strecke kam als nachwächst (und eventuell zuzieht), ob wir also den Wildbestand einer bestimmten Art tatsächlich jagdlich steuern oder nicht. Da wir weder den Wildabgang noch den Wildzugang genau kennen, können wir auch nicht wissen, wie viel Wild einer Wildart derzeit in Österreich lebt. Wildtiere sind eben keine Haustiere, und das ist gut so.
Wir können den aktuellen tatsächlichen Gesamtbestand nur schätzen oder einen ehemaligen Bestand mittels Rückrechnungsverfahren – etwa mittels Kohortenanalyse – berechnen. Die Ergebnisse von Rückrechnungen hängen aber stets von der Genauigkeit der Eingangsdaten ab. Das genaue Alter der im Laufe der Jahre erlegten oder als Fallwild gefundenen Stücke, das auf den Geburtsjahrgang schließen lässt, ist selten ausreichend bekannt. Geschlechtsangaben, Alter und v. a. der Anteil des gefundenen Fallwildes am Gesamtfallwild sind ein großer Unsicherheitsfaktor, sodass auch das Ergebnis von Rückrechnungen nur Mindestbestände, aber keine tatsächlichen Bestände liefert.
Relativzahlen
Als Planungsgrundlage für ein gutes Wildtiermanagement ist aber die Kenntnis über die genaue Anzahl der Wildbestände nicht unbedingt erforderlich. Für viele Fragen reicht die Kenntnis der Entwicklungstrends aus, um bei Bedarf gegensteuern zu können. So sind zum Beispiel Entwicklungstrends von leichter festzustellenden Mindestbeständen, die stets mit gleicher Methode erhoben werden, meist ausreichend, ohne dass die tatsächliche Höhe des Bestandes bekannt ist. Es reicht also eine zuverlässige Information, ob der Bestand zunimmt, abnimmt oder konstant bleibt, ohne zu wissen, wie hoch der Bestand eigentlich ist. Ebenso sind Geschlechterverhältnis (in %) und Zuwachsrate (in %; zum Beispiel Anzahl Rehkitze, bezogen auf alle beobachteten weiblichen Stücke nach der Brunft) mit systematischen jagdlichen Beobachtungen („Stichproben“) bei vielen Arten wesentlich leichter feststellbar als die konkrete Anzahl aller weiblichen und männlichen Stücke eines Bestandes oder die absolute Anzahl der Nachwuchsstücke im Bestand.
Abschussentwicklung
Was kann die Abschussentwicklung über die Bestandesentwicklung aussagen? Wie zuvor erwähnt, müssen beide Entwicklungen nicht korrelieren, sie können sogar gegenläufig sein. Wenn aber auf ausreichend großer Bezugsfläche, wo Zu- und Abwanderung des Wildes nicht maßgeblich sind, über viele Jahre immer mehr Wild erlegt wird, muss der Wildbestand entsprechend hoch sein. Im Falle einer Bestandesreduktion (Abgang längerfristig größer als Zuwachs) könnte der Abschuss nicht über viele Jahre ansteigen oder dauerhaft auf hohem Niveau bleiben. Einen gewissen Hinweis auf eine Bestandesabnahme oder auf einen zumindest nicht zunehmenden Bestand kann auch die längerfristige Entwicklung der Fallwildzahlen geben. Wenn beispielsweise das Fallwild bei hohen Abschüssen bereits sukzessive weniger wird, abgesehen von einzelnen Jahren mit besonderen Ereignissen (zum Beispiel Witterungsextremen), so deutet dies darauf hin, dass der Bestand nicht weiter anwächst.
Durch den hohen Abschuss verlieren andere Todesursachen an Wirksamkeit für den Bestand. Man spricht von „kompensatorischer Sterblichkeit“, wenn durch hohen Abschuss zunächst der Fallwildanteil am Gesamtabgang abnimmt (potenzielles Fallwild wird quasi durch erhöhten Abschuss vorweggenommen), bevor in weiterer Folge vielleicht auch der Bestand selbst abnimmt. Wenn die Fallwildanzahl hingegen stetig ansteigt, ist dies meist ein Hinweis auf einen parallel dazu ansteigenden Wildbestand, außer es handelt sich zum Beispiel um einen Seuchenausbruch, der den Bestand reduziert, bevor die Anzahl des Fallwildes wieder abnimmt.
Bestandestrend
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass bei Wildarten ohne behördliche Abschussplanung (wie Feldhase, Fasan, Rebhuhn, Wildschwein) der langfristige Streckentrend eher den Bestandestrend widerspiegelt als bei Arten mit Abschussplanvorgaben; dabei ist aber vorausgesetzt, dass das jagdliche Abschussinteresse und die rechtlichen Abschussmöglichkeiten weitgehend konstant geblieben sind, was allerdings bei einigen Arten(-gruppen) nicht der Fall ist (wie Raufußhühner, Greifvögel, Wildtauben, Schnepfen, Taucher und Wiesel).
Um sich ein besseres Bild von Veränderungstrends im Hinblick auf die Höhe von Wildbeständen und auf die durchschnittliche Wilddichte je Flächeneinheit machen zu können, sollten neben den langfristigen Jagdstreckenentwicklungen auch eventuelle Veränderungen im Vorkommen der betreffenden Wildart, also in der Größe ihres Verbreitungsgebiets mit in Betracht gezogen werden. Auch regelmäßige Bestandeszählungen, zumindest in repräsentativ verteilten Referenzgebieten, können bei einigermaßen gut sichtbaren Arten die Einschätzung des Wildbestandes und seiner Entwicklungsrichtung verbessern.
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass bei Wildarten ohne behördliche Abschussplanung der langfristige Streckentrend eher den Bestandestrend widerspiegelt als bei Arten mit Abschussplanvorgaben.
Fazit
Es ist sehr hilfreich, dass es die langfristig einheitlich geführte Jagdstatistik für Wildabschuss und Fallwild in Österreich gibt. Sie kan n vor allem zur Einschätzung von großräumigen und langfristigen Entwicklungstrends gute Dienste als Orientierungshilfe leisten. Bei der Interpretation der absoluten Streckenzahlen und des Zusammenhangs mit der Wildstandsentwicklung ist jedoch Vorsicht geboten. Für realitätsnahe Aussagen sind je nach Wildart zusätzliche Informationen erforderlich. Gesamtstreckenzahlen sind aussagekräftiger als die Gliederung nach Sozialklassen. Bei Wildarten ohne behördliche Abschussplanung entspricht der langfristige Streckentrend wie gesagt eher dem Bestandestrend als bei Arten mit Abschussplanvorgaben.
Foto Dieter Hopf